aber nur, wenn ich es bald geschafft habe, etwas zu schreiben; leider verschiebe ich dies allzu oft, die Eindrücke verblassen, und ich bedaure die Leerstelle. Gelesen wird immer, aber manchmal kann diese Pause des nicht darüber Schreibens auch mehrere Jahre dauern...
Hier eine alphabetische Gesamtübersicht.
• Josefine Klougart: Einer von uns schläft
• Kenah Cusanit: Babel
• A. L. Kennedy: Süßer Ernst
• Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall
• Francesca Melandri: Alle, außer mir
• Minna Rytisalo: Lempi, das heißt Liebe
Matthes & Seitz 2019, 222 S.
„Über die gepflügten Felder kriecht das Licht heran. Schollen dunkler ineinandergeschobener lehmiger Erde, Bullenkälber, die sich in den Boxen kabbeln, ein Getöse von zu viel Körper auf zu wenig Raum. Und der Schnee, so sanft hat er sich nun auf die Kämme gelegt, auf die Landschaft, auf alles Lebende und Tote. Ein Fell aus Kälte, eine tiefe Stimme, der du vertrauen kannst. Die ganze Landschaft; nackt, unsentimental, das Gefühl eines Ich vermisse dich ist hier zu Hause, aber es gibt niemanden zu vermissen.
Eine Landschaft mit einem Spitzenbesatz aus Reif.“
Das ist der erste Absatz des Buches, der schon ganz viel von dem enthält, was noch kommt. Landschafts- bzw. Naturbeschreibung, Schnee und Kälte, die sich über alles legt, Gefühle, Liebe, das Herantasten an das, was ist, die Suche.
Es ist ein sehr ungewöhnliches, ein besonderes Buch, das zu beschreiben mir schwer fällt, es wird mir nicht gelingen. Es gibt keinen konkreten Plot, es ist keine lineare Erzählung, die man zusammenfassen könnte, aber es gibt eine Ausgangssituation: eine junge Frau ist aus Kopenhagen zurückgekehrt zu ihrer kranken Mutter aufs Land und versucht sich ihrer Vergangenheit klar zu werden. Zwei gescheiterte Beziehungen, wobei die Männer und die Beziehungen nicht so klar auseinander gehalten werden können, legen sich schwer auf die Seele. Es sind fragmentarische Rückblicke, Gefühle, die aufblitzen, vergehen und sich in ihren Widersprüchen immer wieder mehr oder weniger Raum nehmen. Nichts ist bestimmt oder klar, alles ist möglich und deshalb auch ehrlich.
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Hanser Verlag, München 2018, 269 S.
Am 30.04.2019 war Richtfest des Pergamonmuseums in Berlin. Dieses wird renoviert/rekonstruiert, im Grunde die ganze Museumsinsel - wobei der Abschluss der umfangrei chen Baumaßnahmen noch Jahre dauern wird, ich lese gerade vom Jahr 2023, frühestens, vielleicht in Richtung 30er Jahre (so viel am Rande). Hier wird aufbewahrt und präsentiert, was Inhalt des Buches von Kenah Cusanits »Babel« ist. Dieser aktuelle Bezug erleichtert und führt ein wenig hin zum Lesen des Buches, in dem es überwiegend um prägende Bauwerke Babylons mit der Prozessionsstraße, Ischtar-Tor, Thronsaalfassade des Königs Nebukadnezar, Turm zu Babel geht, um summerische, babylonische und assyrische Ausgrabungen.
»Babel«, der Titel des Buches von Kenah Cusanit, könnte treffender nicht gewählt sein. Nicht nur, daß sich das Buch um diese Ausgrabungen Babels dreht, ich möchte fast sagen, Babel »ist« das Buch. Die Formulierung ist natürlich völlig verquer und daneben, gibt aber doch in gewisser Weise den Inhalt des Buches wider. Es dreht sich alles um die historischen Ausgrabungen von Robert Koldewey (1855-1925), einem Architekten und einem der wichtigsten Vertretern der vorderasiatischen Archäologie. Er hat seit 1899 in Babel (im heutigen Irak) seine archäologischen Forschungen vorangetrieben und gegraben, im Auftrag und wesentlich finanziert durch die Deutsche Orient-Gesellschaft und Kaiser Wilhelm II. Wer weiß, wo das Interesse von Kenah Cusanit für Altorientalistik stammt, vielleicht ist die Ursache der gleiche Geburtsort von ihr mit dem Koldeweys, beide aus Blankenburg.
Für einen Eindruck aus den ersten Zeilen des Buches: »Koldewey sah aus dem Fenster seines Arbeitszimmers, nirgendwo davorstehend, nichts kartierend. Er hatte sich hingelegt, auf seine Liege, die Teil der Fensterbank war, und beobachtete den Fluss, der an den Ruinen entlangfloss, zog an seiner Pfeife und sah ihn an, als hätte er noch nie einen Fluss angesehen, ohne dabei über etwas anderes, etwas Übergeordnetes nachzudenken: das Schiff, die Fahrt, das Ziel, die Reliefziegel Nebukadnezars, die Reliefziegel des Ischtartors, des Palastes, der Prozessionsstraße......weiterlesen...
nach obenHanser Verlag 2018, 560 S.
Es ist schon über 15 Jahre her, daß ich das erste Buch von A L Kennedy gelesen hatte, »Alles was du brauchst«. Ein wunderbares Buch, seither musste ich fast jedes Buch von ihr haben. »Süßer Ernst« wird man nach dem Lesen auch nicht mehr vergessen, auch ein ganz besonderes Buch.
Im Zentrum stehen ein Mann und eine Frau, die man sehr intensiv kennenlernt. Jon, fast sechzig, ist ein höherer Ministerialbeamter in London, der so gut mit Worten jonglieren kann, daß er Fakten und Skandale seines Ministeriums so umformuliert und bearbeitet, daß sie der Presse und der Öffentlichkeit präsentiert werden können, ohne allzu großen Schaden zu verursachen, die Wahrheiten bekommen einen Anstrich, so daß sie zu Entscheidungen des Ministeriums passen, darin ist er Meister. Die Wahrheit »hinbiegen«. Da er damit allerdings gegen seine Überzeugungen handelt, ihn die Zwänge, der Druck, die Behördenbürokratie anödet, ihn das Falsche der Politik zutiefst frustriert und beugt, entwickelt sich bei ihm als Ventil die Gegenhandlung, unterdrückte Informationen heimlich weiter zu geben. Privat nutz er das Talent seiner Formulierungsfähigkeiten, indem er Frauen durch Anzeigen den Service anbietet, regelmäßig handgeschriebene Briefe zu schreiben, tröstlich und zärtlich, angepaßt an die Bedürfnisse dieser Frauen.
Eine der Empfängerinnen ist die zweite Hauptperson, Meg. Sie ist Mitte vierzig, ehemalige Buchhalterin, die zur Alkoholikerin wurde. Nach vielen Besuchen bei den Anonymen Alkoholikern und vielen Mühen trocken, arbeitet sie nun Teilzeit in einem Tierheim. Auch bei ihr hat das Leben tiefe Spuren hinterlassen, der lange Kampf, nüchtern zu bleiben, heftige Verletzungen, die Einsamkeit und das Fernhalten von Depressionen. Die Briefe von Jon......weiterlesen...
(eine absolute Empfehlung)
nach obenDiogenes 2019, 288 S.
Vor einigen Jahren las eine sehr enge Freundin das Debüt von Daniela Krien »Irgendwann werden wir uns alles erzählen« - für sie war das Buch wunderbar und sie erzählte begeistert davon. Seither wollte ich es auch lesen, aber es liegt noch immer auf dem Stapel. Die Neugier blieb, den Namen hatte ich nicht vergessen, deshalb ergriff ich nun die Chance, Daniela Krien kennenzulernen, allerdings mit dem neuen Buch von ihr »Liebe im Ernstfall«.
Der Verlag spricht von einem Roman, für mich sind es eher Erzählungen, die über einen dünnen Faden miteinander verknüpft sind. Das Buch handelt von fünf Frauen, deshalb gibt es fünf etwa 50-60seitige Kapitel, in denen je eine die Hauptrolle spielt und ab und an eine andere in einer winzigen Nebenrolle auftritt, die dann aber später ein eigenes Kapitel bekommt.
Es geht um das Beziehungs- und Liebesleben dieser Frauen, um deren Probleme mit den vielfältigen Wirrnissen, die im Leben möglich sind. Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde, ganz verschiedene Charaktere lernt man kennen, starke und schwache, mit oder ohne Kind, miteinander befreundet oder oder anderweitig verbunden, doch früher oder später scheitern ihre Beziehungen. Ich möchte gar nicht sagen, daß sie alle im Leben scheitern, manchmal ist es eine Achterbahn, manchmal gibt es Brüche, manchmal ist ein Neuanfang nötig. Dies zu beobachten, dabei zu sein, das bietet das Buch. ...weiterlesen...
nach obenWagenbach 2018, 604 S.
Francesca Melandri, 1964 in Rom geboren, hat 2010 mit »Eva schläft« und 2012 mit »Über Meereshöhe« schon zwei Romane geschrieben, die sich mit italienischer Geschichte befassen. »Eva schläft« beschäftigt sich mit Südtirol in den 60er und 70er Jahren und seinen auch gewalttägigen Autonomiebestrebungen, »Über Meereshöhe« mit Italiens linksradikalem Terror.
In Melandris neuem Buch »Alle, außer mir«, geht es wieder um die italienische Geschichte, diesmal um die koloniale Vergangenheit, Rassismus, die aktuelle Flüchtlingskrise drängt sich zwingend auf und natürlich um die ganze Vielfalt an Problemen der modernen italienischen Gesellschaft. Im italienischen Orginal heißt das Buch »Sangue giusto« - »Richtiges Blut«, was das Thema schon im Titel offenbart.
Verpackt wird das alles in einer Familiengeschichte, die sich durch das ganze 20. Jahrhundert zieht. Die erste Seite beginnt mit dem Tod des 97-jährigen Attilio Profeti, als wichtigste zweite Figur spricht seine Tochter, die etwas 40-jährige Ilaria. Ich schlage gerade diese erste Seite auf und kann folgenden Satz nach der Lektüre nun viel besser einordnen: »Ich weiß nur eins: Unter uns Lebende kannst du nicht zurückkehren. Wer stirbt, ist ein Flüchtling, ein Asylsuchender. Der einen Ablehnungsbescheid bekommen hat für den Rest der Ewigkeit.« Der kritische Unterton ist nicht zu überhören, wie es zur Kritik kommt, dies entschlüsselt sich im Roman durch die Recherche Ilarias über die Vergangenheit ihres Vaters...
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Hanser Verlag 2019, 222 S.
Lempi, das heißt (im finnischen) Liebe, und es ist gleichzeitig der Name der Frau, um die es in diesem Buch geht. Geschrieben wurde es von Minna Rytisalo, die als Finnischlehrerin in Lappland arbeitet, wo auch der Roman angesiedelt ist. Ein paar Fakten vorab über die Geschichte dieses Landstrichs zu kennen, ist bei diesem Buch durchaus hilfreich, da es nicht nur Zwänge erklärt, sondern auch Flucht und Vertreibung. Für finnische Leser bräuchte es kaum Erklärungen, für uns hat die Übersetzerin auf wenigen Seiten in einem Nachwort einige Zusammenhänge und Historisches zusammen getragen. Ich würde raten, vor dem Roman zunächst diese vier Seiten zu lesen, hier jedoch kurz ganz wenige Stichpunkte.
Der Winterkrieg 1939/1940 war eine Auseinandersetzung zwischen Finnland und der Sowjetunion, nach dem Finnland territoriale Zugeständnisse machen und u.a. Teile Kareliens abtreten musste. Fast eine halbe Million Finnen mussten fliehen, im Fortsetzungskrieg 1941-1944 eroberte Finnland die Gebiete zurück. Dies gelang durch Annäherung und Zusammenarbeit mit den Deutschen. Dadurch waren zu dieser Zeit eine große Menge deutscher Soldaten in dem Gebiet und es kam zu Beziehungen zwischen Finninnen und diesen Deutschen. Frauen aus diesen Beziehungen, die zurück blieben, wurden nach dem Sieg der Sowjetunion verachtet und angefeindet, andere gingen mit ihren Männern nach Deutschland.
Der Roman dreht sich zwar um Lempi, sie erzählt aber nie selbst, sondern ihre Person wird durch drei sehr unterschiedliche Perspektiven von außen geschildert. Zunächst spricht ihr Mann Viljami. Er ist auf dem Heimweg aus dem Krieg, äußerlich zwar ohne Wunde, seelisch jedoch zutiefst verletzt, wird er aus dem Krankenhaus entlassen, da man ihm nicht weiter helfen konnte. In diesem Teil des Buches spürt man stark seine Verlorenheit, die Hoffnungslosigkeit, er...
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