AB - Die Andere Bibliothek 2007


Wolfgang Schlüter: Anmut und Gnade
Oliver Lubrich: Berichte aus der Abwurfzone
Curzio Malaparte: Zwischen Erdbeben
Steffen Jacobs: Der Lyrik-TÜV
Ilija Trojanow: Nomade auf vier Kontinenten
Evelyn Waugh: Befremdliche Völker, seltsame Sitten
Domingo Faustino Sarmiento: Barbarei und Zivilisation
Florian Felix Weyh: Die letzte Wahl
Tilman Spreckelsen: Gralswunder und Drachentraum
Stepen Kinzer: Putsch!
Margaux de Weck: Ich habe Dich beim Namen gerufen
Milán Füst: Die Geschichte meiner Frau


Wolfgang Schlüter: Anmut und Gnade

Eichborn 2007, AB 265, 358 S.

Krieg um Worte, Töne, Bilder

Paris, 2003. Unruhen erschüttern die Banlieues. Während die Stadt vom Krieg der Bilderstürmer und Kaputt­macher erschüttert wird, probt ein österreichisches Kammer­ensemble die Aufführung einer Oper Jean-Philippe Rameaus, des großen Neuerers und ebenso gefeierten wie umstrittenen Erben Lullys. Walter Mardtner ist Pressereferent des Orchesters. Bei einem Antiquariats­besuch fällt ihm ein Konvolut alter Schriften in die Hände, das von einem anderen Krieg erzählt: dem einstmals ebenso erbitterten wie geistvollen Kampf zwischen den Traditionalisten und Neuerern um die Vorherrschaft an der Pariser Oper. Kombattanten sind Jean-Philippe Rameau und der Kreis der Enzyklopädisten, allen voran der empfindsame und aufrührerische Jean-Jacques Rousseau.

Wolfgang Schlüters Roman spiegelt in der virtuosen Montage unterschiedlicher Erzählebenen die Fremdheit einer vergangenen Epoche und läßt zugleich die Pracht und Anmut der Oper, das Zeitalter der Aufklärung und das Brodeln des vorrevolutionären Frankreich vor unseren Augen neu erstehen. Sein Buch ist unverschämt und genialisch zugleich. Schlüter unterfordert sein Publikum nicht und schreibt trotzdem spannende Literatur.

Wolfgang Schlüter, geboren 1948, lebt als freier Übersetzer und Autor in Berlin, Wien und Irland. Er hat unter anderem einen Band mit englischer Lyrik, John Aubrey, William Cowper, James Thomson, T. H. Lawrence und Christoper Marlowes sämtliche Dramen ins Deutsche übersetzt. Für seinen ersten Prosaband John Field und die Himmels=Elekctricität (1998) erhielt er den Dedalus-Preis für innovative Prosa; seinen Roman Dufays Requiem (2002) nannte die FAZ »eine vielstimmige Komposition in bester, mutmaßlich Dufayscher Tradition.«


Oliver Lubrich: Berichte aus der Abwurfzone.

Ausländer erleben den Bombenkrieg in Deutschland 1939-1945

Eichborn 2007, AB 266, 478 S.

»Die Angst vor dem Friendly Fire«

Deutsche Berichte über den Bomben­krieg in Deutsch­land gibt es viele - aber wie ging es ausländischen Journalisten, die in Berliner Luftschutz­kellern saßen, während Hitlers Hauptstadt bombardiert wurde, woran dachten Schweden, die in einen Feuersturm kamen, was empfanden amerikanische Kriegsgefangene, wenn ihre Kameraden die Sprenglasten über ihnen entluden, was Bomberpiloten, die unter sich ein Flammenmeer aufgehen sahen?

Oliver Lubrich hat eine Expedition in dieses bisher unbekannte Terrain unternommen, seine Funde sind erstaunlich: Die Liste seiner Autoren reicht von berühmten Schriftstellern wie Céline, Malaparte und Vonnegut bis zu großen Reportern wie Murrow, Shirer und Gellhorn. Anhand ihrer - in Deutschland oft noch unveröffentlichten - Zeugnisse zeichnet er den Luftkrieg gegen Deutschland nach: von den Anfängen, als man über die Wirkungslosigkeit der einzelnen britischen Bomber noch scherzte, bis zur totalen Zerstörung des Deutschen Reichs.

Oliver Lubrich, geboren 1970 in Berlin, unterrichtet seit 1999 am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft der FU Berlin.
Er ist Mitherausgeber von Alexander von Humboldts Kosmos, Ansichten der Kordilleren und Über einen Versuch den Gipfel des Chimbarazo zu ersteigen. 2004 erschien in der Anderen Bibliothek die von ihm herausgegebene Anthologie Reisen ins Reich 1933-45. Ausländische Autoren berichten aus Deutschland.


Curzio Malaparte: Zwischen Erdbeben

Streifzüge eines europäischen Exzentrikers

Eichborn 2007, AB 267, 362 S.

»Ich bin das, was man gemeinhin einen Barbaren nennt.«

Malparte war Faschist, Kommunist, Wendehals, Egozentriker, Narziß, Dandy und Held - und manchmal wirkt es, als habe er keine Sünde auslassen wollen, wie sie sich die Intellektuellen während der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts haben zuschulden kommen lassen. Daß er aber zugleich ein großer Reisender, ein Kenner des alten Kontinents, einer der schärfsten Beobachter und originellsten Denker Europas war, ist kaum bekannt. Egal, ob er über die »englischen Manieren« oder die »schwedische Insel« schreibt, aus der Nachkriegsgesellschaft in Deutschland und Frankreich berichtet oder ob er in den frühen fünfziger Jahren sich für die Welt der chilenischen Indios begeistert oder am Ende seines Lebens von Maos China fasziniert ist: Seine stilistisch unverwechselbaren Reisereportagen sind oft von einer überraschenden Weitsicht und noch in ihren Fehlurteilen erhellend.

Erstmals ins Deutsche übersetzt, präsentieren sie einen ebenso eigenwilligen wie faszinierenden Beobachter der europäischen Katastrophe.

Curzio Malaparte (eigentlich Kurt Erich Suckert, 1898 bis 1957) war Sohn eines Deutschen und einer Italienerin und kämpfte im Ersten Weltkrieg als Freiwilliger für die Italiener. Er war Diplomat und Journalist (u.a. Chefredakteur von La Stampa) und mußte nach anfänglicher Sympathie für die Faschisten 1933 für fünf Jahre ins Exil, u.a. auf die Insel Lipari. Er arbeitete danach als Kriegsberichterstatter und war beim Einzug der Alliierten Verbindungsoffizier für die Amerikaner. Seine radikalen Romane Kaputt und Die Haut über seine Kriegserlebnisse sind noch heute sehr umstritten.


Steffen Jacobs: Der Lyrik-TÜV

Ein Jahrhundert deutscher Dichtung wird geprüft

Eichborn 2007, AB 268, 352 S.

»Ich bin das, was man gemeinhin einen Barbaren nennt.«

Jeder kennt sie, aber nicht jeder liest sie. Busch, Rilke, George, Weinheber, Benn, Rühmkorf, Enzensberger, Hartung, Gernhard, Grünberg. Sie gelten als die Blüte deutscher Dichtkunst, ihre Werke finden sich in allen neueren deutschen Gedichtsammlungen des 20. Jahrhunderts, und in Oberseminaren kaut man auf ihren geistigen Erzeugnissen herum wie auf zähem Leder. Aber: Wie gut sind sie wirklich? Was haben sie außer ihren zehn in jeder Anthologie vertretenen Glanzstücken noch geschrieben? Und: Halten diese auch dem Blick des praktischen Kenners stand?

Steffen Jacobs ist selbst zur Zunft der Gedichtmetze gehörig und weiß um die Schwierigkeiten des Metiers aus jahrzehntelanger Praxis. Er unterzieht je einen Lyriker pro vergangenem Jahrzehnt einem unbarmherzigen Test. Seine Untersuchungen entbehren weder der Hinterlist noch gelegentlicher Boshaftigkeit. Die Ergebnisse sind höchst unterschiedlich und oft ziemlich originell.

Steffen Jacobs, geboren 1968 in Düsseldorf, ist als Lyriker laut FAZ »eine der interssantesten Figuren in der neuen Schule der Versmacherei« (zuletzt: »Angebot freundlicher Übernahme, 2002«). Als Essayist (zuletzt: »Lyrische Visite oder das nächste Gedicht, bitte, 2002«)schreibt er laut Die Welt Texte »wie aus Lichtenbergs Feder«. Außerdem übersetzte er Romane u.a. von Neil Jordan und Philip Larkin aus dem Englischen. Der Lyrik-TÜV wurde mit ausgelöst von der Frage: Wie kommen erwachsene Menschen dazu, sich die Zeit mit einer solch seltsamen Beschäftigung wie der Lyrik zu vertreiben? Auch hier findet Steffen Jacobs manch unerwartete Antwort. Er lebt in Berlin.


Ilija Trojanow: Nomade auf vier Kontinenten.

Auf den Spuren von Sir Richard Francis Burton

Eichborn 2007, AB 269, 440 S.

»Auf den Spuren des Weltensammlers«

Durch einen Roman ist Richard Francis Burton, eine der schillerndsten Figuren des 19. Jahrhunderts, dem deutschen Publikum bekannt geworden - »Der Weltensammler« von Ilija Trojanow. Für seine Recherchen ist Ilija Trojanow sieben Jahre lang auf den Spuren Burtons durch Indien, Arabien, Afrika und Nordamerika gereist, so etwa als Araber verkleidet auf der Hadsch oder zu Schiff und zu Fuß den Nil hinauf. Teilweise waren diese Recherchen so abenteuerlich wie das Leben Burtons selbst. In Nomade auf vier Kontinenten stellt Ilija Trojanow das unkonventionelle Leben Burtons anhand von Ausschnitten aus dessen Werk vor und verknüpft sie mit den Erlebnissen seiner eigenen Reisen. Dadurch entsteht nicht nur ein plastisches Bild des exzentrischen Lebemanns aus dem 19. Jahrhundert, sondern auch eine historische Brücke zwischen damals und heute, die von den Veränderungen erzählt, die in den letzten hundertfünfzig Jahren erfolgt sind.

Sir Richard Francis Burton (1821-1890) bereiste fast die ganze Welt. Er war Spion in Indien, er befaßte sich mit den Mormonen in Utha, suchte die Quellen des Nils und stieß als erster Europäer in das Innere Ostafrikas vor. Er unternahm die Pilgerreise nach Mekka und gelangte in die verbotene Stadt Harar. Im Lauf seines abenteuerlichen Lebens erlernte er knapp 30 Sprachen und schrieb ca. 60 Bücher.

Ilija Trojanow, geboren 1965 in Sofia, erhielt 1971 politisches Asyl in Deutschland und lebte mit seiner Familie von 1972 bis 1984 in Nairobi, Kenia. Trojanow studierte Ethnologie und Jura in München und gründete 1989 den auf afrikanische Literatur spezialisierten Marino Verlag. Zwischen 1998 und 2003 lebte er in Bombay, seitdem sieht man ihn gelegentlich in München und anderswo. Nachdem er sich bereits als Publizist und Autor von Reisebüchern einen Namen gemacht hat, gelang ihm mit dem Roman »Der Weltensammler« ein fulminanter literarischer Bestseller, der u.a. auch mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2006 ausgezeichnet wurde.


Evelyn Waugh: Befremdliche Völker, seltsame Sitten

Expeditionen eines britischen Gentleman

Eichborn 2007, AB 270, 325 S.

»Ein englischer Snob in Afrika«

Als Evelyn Waugh am 10. Oktober 1930 von London aus nach Addis Abeba aufbrach, wußte er nicht recht, was ihn erwarten würde. Aus einer Laune heraus hatte er beschlossen, aus dem fernen Afrika über die Krönung von Haile Selassie zum König der Könige in Äthiopien zu berichten. Alle bedeutenden Weltmächte reisten zu den Feierlichkeiten in die unfertige Hauptstadt Äthiopiens - und bauschten das Ereignis gewaltig auf. In Europa klangen die Berichte von der ungeheuerlichen Prachtentfaltung bei der Krönungszeremonie des Königs der Könige wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Waugh dagegen fühlte sich wie ein englischer Gentleman inmitten geschmackloser Barbarei und sah ganz andere Dinge als seine Journalisten-Kollegen - und auch bei seiner Heimreise über Aden, Sansibar, Kenia, Belgisch-Kongo und Südafrika zeigte sich Waugh als Mann totaler Illusionslosigkeit mit staubtrockenem Humor. Sein zeitloser Bericht gehört zu den Juwelen der Reiseschriftstellerei; er wird hier erstmals auf deutsch veröffentlicht.

Evelyn Waugh wurde 1903 in Hampstead bei London als Sohn einer Verlegerfamilie geboren. Er war das Enfant terrible der englischen Literatur der dreißiger Jahre, berühmt für seine satirisch grotesken, schonungslosen und dabei hochkomischen Romane. Berühmt wurde er für seine Reisebücher und seine Romane - um nur einige zu nennen: »Decline and Fall« (1928), »Black Mischief« (1932), »A Handful of Dust« (1934), »Scoop!« (1938), »The Loved One« (1948), »Men at Arms« (1952) und »Brideshead Revisited« (1955). Evelyn Waugh starb am 10. April 1966.


Domingo Faustino Sarmiento: Barbarei und Zivilisation

Das Leben des Facundo Quiroga

Eichborn 2007, AB 271, 457 S.

»Dieses Buch ist Argentinien«
»Wer den Facundo nicht gelesen hat, der kennt Argentinien nicht, der kennt Lateinamerika nicht«

Er hat Toqueville bewundert, Borges wiederum ihn: Domingo Faustino Sarmiento hat mit »Barbarei und Zivilisation« eines der irritierendsten und faszinierendsten Bücher der Literaturgeschichte geschrieben, »ein seltsames Buch, ein Buch ohne Kopf und ohne Füße, ein gegen das Haupt der Tyrannen geworfenes Felsstück«, so er selbst. Das Buch ist eine phantasievolle Mischung aus Roman, Räuberbiographie, Landeskunde, Kampfschrift, Gedicht und geschichtsphilosophischem Essay, ein vielgestaltiges Monstrum. Weniger ein Büch über Argentinien als ein Buch, das Argentinien ist.

Kernstück sind das Leben und der gewaltsame Tod des »Tigers der Pampa«, des vom Banditenführer zum Provinzregenten aufgestiegenen, instinktgetriebenen Machtmenschen Facundo Quiroga. Ein Mann, dessen Faszination bis auf den heutigen Tag spürbar bleibt - und die man erstmalig in einer deutschen Übersetzung spüren kann.

Domingo Faustino Sarmiento (1811-1888) war Schriftsteller, Pädagoge und Politiker. Er stammte aus einfachen Verhältnissen, mußte wegen seines politischen Engagements mehrmals nach Chile auswandern. Später war er argentinischer Botschafter in Washington und 1868-1874 argentinischer Staatspräsident.


Florian Felix Weyh: Die letzte Wahl

Therapien für die leidende Demokratie

Eichborn 2007, AB 272, 319 S.

»Ich will mein Kreuz wieder gerne machen«

Vielbeschworen ist sie, vielgelobt, und kaum jemand könnte sich das Leben ohne sie vorstellen: die Demokratie. Kritik an ihr gilt immer gleich als Nestbeschmutzung, und wenn doch jemand wagt, Parlamentarismus und Wahlsystem zu hinterfragen, dann mit dem Winston Churchill zugeschriebenen Satz: »Demokratie ist die beste aller schlechten Staatsformen«. Ist sie das wirklich? Die politischen Verhältnisse in Deutschland sähen ziemlich anders aus, hätten wir 2005 statt des deutschen das englische oder amerikanische Wahlrecht praktiziert (vom nigerianischen ganz zu schweigen). Und weiter: Ist Demokratie automatisch immun gegen schleichende Verkalkung, Mangelkrankheiten, Schwindsucht und Wahnzustände, nur weil sie die Tochter von Freiheit und Brüderlichkeit ist?

Nein, meint Florian Felix Weyh, denn wenn in einem Mitbestimmungssystem selbst in der Wolle gefärbte Demokraten zunehmende Wahlunlust zeigen, ist etwas mit ihm nicht in Ordnung. Eine gewisse Lust an der Provokation ist Weyh trotz aller spielerischen Leichtigkeit nicht abzusprechen, dafür spart er in seinem Buch aber auch nicht an ziemlich überraschenden Verbesserungsvorschlägen. »Besser eine grobe Roßkur als ein toter Patient«, lautet eine alte medizinische Weisheit, der unser Autor wohl nur zustimmen könnte.

Klappentext:
Mit der Demokratie kommen alle guten Dinge: Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden, Wohlstand. Eine feine Sache, meinen Präsidenten, Kanzler und Parteileute. Nur die Wähler finden das immer weniger und verlieren ihr Interesse. Denn vieles in unserem demokratischen Gemeinwesen funktioniert einfach nicht so, wie es sich seine Erfinder vorgestellt haben. Und warum tut niemand was dagegen?
In einem zugleich beunruhigenden wie inspirierenden Dialog machen sich eine verängstigte und frustrierte Bürgerin sowie ein couragierter und erfahrender Analytiker auf die Suche nach Heilmöglichkeiten für unsere kränkelnde Demokratie. Was ihre Diagnose zutage fördert, bestätigt schlimmste Befürchtungen. Aber ihre Therapievorschläge haben es in sich. Eine erhellende und vergnügliche Reise auf der Spur einer zeitgemäßen Form der »besten aller schlechten Staatsformen«.

Florian Felix Weyh, geboren 1963, lebt als Journalist und Publizist in Berlin. Sein essayistisches Werk wurde u.a. von der Stiftung Niedersachsen und Lettre International ausgezeichnet. »Der galante Snob macht alles leicht und diese Leichtigkeit zum Lebenspotential. Er pflegt in literarischer Sprache eine heitere Wissenschaft«, schreibt die Sächsische Zeitung. 2006 im Eichborn Verlag erschienen: »Vermögen«.


Tilmann Spreckelsen: Gralswunder und Drachentraum

Ein Streifzug durch die Artuswelt

Eichborn 2007, AB 273, 298 S. und Bildtafeln

»Ritter, Schurken, Drachen, Damen, Tod und Teufel«

Jeder kennt sie, keiner liest sie - Erec, Iwein, Parzival und die vielen anderen mittelhochdeutschen Artusromane. Der Grund liegt auf der Hand: Mittelhochdeutsch ist nur für Hartgesottene verständlich, philologische Nacherzählungen sind in der Regel ungenießbar, die populären Kitschversionen pure Phantasie, und gute Übersetzungen sind rar. Doch welch ein Schatz geht da verloren! Ein Kosmos an Figuren, Motiven und Gestalten, reich wie die Welten Homers, schön und schrecklich wie die Shakespeares oder fantastisch wie die des Herrn der Ringe. Die Artuswelt ist eine Wunderkammer archetypischer Geschichten und Motive.

Tilman Spreckelsen hat das mächtige Dickicht der mittelhochdeutschen Artusepik für uns durchforstet und bringt in über sechzig Porträts, die man getrost auch Kleinstromane nennen kann, eine Welt zu uns, deren Reichtum mühelos die letzten fünfzig Jahre deutschen Romanschaffens aufwiegt.

Tilman Spreckelsen, geboren 1967 in Kronberg/Ts., studierte Deutsch und Geschichte in Freiburg und ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. 1997 gab er Fouqués »Parcival« mit heraus. Zuletzt erschienen von ihm die Anthologien »Mein Vater, der Held« (Eichborn) und »Augenblicke. Geschichten vom Sehen« (S. Fischer Verlag).



Stephen Kinzer: Putsch!

Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus

Eichborn Oktober 2007, AB 274, 563 S.

»Wie Amerikas "demokratische Missionen" die Stabilität der Welt gefährden«

Immer geht es - angeblich - um die Verbreitung der demokratischen Idee. Aber meistens geht es schief. Seit dem Jahr 1893, als amerikanische Plantagenbesitzer mit Hilfe der US-Regierung die hawaiianische Monarchie stürzten, haben die Vereinigten Staaten dreizehn ausländische Regierungen aus ideologischen, wirtschaftlichen oder politischen Gründen blutig zu Fall gebracht. Geheimdienste, Waffenhändler und bisweilen auch US-Streitkräfte waren daran beteiligt, den Machtanspruch der Vereinigten Staaten global auszuweiten. Dabei machte sich das schlechte Gewissen der ältesten Republik der Welt stets bemerkbar. Beispiel Irak: Es gehe, so versicherte einst der amerikanische Präsident, um die Beseitigung von Massenvernichtungswaffen und die Durchsetzung des demokratischen Gedankens in einer autoritär regierten Region. Das Zauberwort »Öl« nahm er niemals in den Mund. Doch wie im Irak, so widersprachen schon früher die politischen Konsequenzen allen Putsch-Hoffnungen Washingtons im Ausland. Statt der Demokratie siegte zumeist der Antiamerikanismus.

Stephen Kinzer, Auslandskorrespondent und Pulitzer-Preisträger, hat im Laufe seines Berufslebens aus über vierzig Ländern berichtet. Er war Korrespondent des Boston Globe für Lateinamerika und dann Leiter der Auslandsbüros der New York Times in der Türkei, in Deutschland und in Nicaragua.
Er schildert die bizarren Umstände der offenen und geheimen Coups d’Etat made in USA - ob in lateinamerikanischen Bananenrepubliken oder weitaus folgenreicher im Iran: Stets entsprach der gewissenlosen Kompetenz der CIA eine außenpolitische Kurzsichtigkeit der Auftraggeber im Weißen Haus.


Margaux de Weck (Hrsg.): Ich habe Dich beim Namen gerufen

Eine Antologie deutscher Namenspoesie aus vier Jahrhunderten.

Eichborn 2007, AB 275, 380 S.
Hier muß man es einfach sagen: die Einbandgestaltung ist phantastisch. Diesen Band in Händen zu halten, haptisch und optisch - wunderbar...

»Das Kind muß doch einen Namen haben«

Namen haben ihre Magie. Eltern überlegen sich’s in der Regel zweimal oder dreimal, wie sie das Kind beim Namen nennen, sofern sie nicht dem Zauber einer Mode erliegen oder, wie einst üblich, der Familientradition gehorchen. Namen zeichnen, wie die Römer zu wissen meinten, ein Schicksal vor. Womöglich prägen sie den Charakter? Dass ein Name die Person, die er bezeichnet, genau treffe und ihre Eigenschaften in kürzester Zeit zusammenfasse; oder umgekehrt, daß sich die Eigenschaften, die man einem Namen zuschreibt, auf die Person übertragen mögen - das sind Sehnsüchte, die allein die Poesie einzulösen vermag. Denn hier ist ein Name nie nur ein Name, sondern Chiffre dessen, was Dichter von Goethe über Heine und Benn bis Gernhardt mit der benannten Person verbinden: Empfindungen, Erlebnisse, Phantasien. Dies und nichts anderes signalisieren die Dichter, wenn sie die Geliebte, den Freund liebend, den Feind spottend benennen: jedes Namensgedicht eine Feier der unverwechselbaren Persönlichkeit.

»Ich habe dich beim Namen gerufen« ist ein ideales Geschenkbuch für die geliebte Person: Denn es versammelt nicht nur hundertachtzig Namensgedichte von A wie Anna über J wie Jakob bis Z wie Zoë, sondern geht auch den Ursprüngen der Namen nach, forscht nach historischen, literarischen oder biblischen Vorbildern. Ein werbender, oft genug zärtlicher Zuruf, der nicht nur zu Geburts- und Namenstagen, sondern immer willkommen sein sollte.

Margaux de Weck, geboren 1979, ist in Hamburg, Paris und Zürich aufgewachsen. Sie hat in Zürich und Berlin Philosophie und Germanistik studiert. Margaux de Weck arbeitet in einem Züricher Verlag.


Milán Füst: Die Geschichte meiner Frau

mit einem Nachwort von Péter Nádas

Eichborn 2007, AB 276, 495 S.

»Ein Schlüsselroman ungarischer Dichtkunst«

Lizzy, die zierlich-mollige Französin, zerbrechlich wie ein teurer Flakon, fällt wie eine Himmelsgabe in das Leben ihres Mannes, des schwerblütigen und grobschlächtigen holländischen Kapitäns Jacob Störr. Ihre Schönheit ist für ihn allerdings ein Geschenk, das er nicht wirklich genießen kann: Seine maßlose Eifersucht liefert ihm den Vorwand für zahllose Affären und Eskapaden, die weniger dem Verhalten seiner Frau als allein seiner grotesken Egozentrik geschuldet sind. Denn Jacob Störr ist ein amoralischer Zeitgenosse, der von seiner Umwelt gerade deshalb Anstand und Verlässlichkeit verlangt, weil ihm selbst beide Tugenden völlig fremd sind.

Der ungarische Lyriker und Philosoph Milán Füst hat mit diesem anekdotenreichen Roman - seinem einzigen - nicht nur eine amüsante Geschichte von grotesker Egozentrik verfaßt, sondern auch eine ernste und zeitlose Analyse menschlichen Irrens, das unter dem Namen »Liebe« mehrere Leben gleichzeitig ruinieren kann. 1967 wurde Füst für den Nobelpreis nominiert, »aber der Tod war schneller als die schwedische Akademie« (György Konrád).

Milán Füst, 1888 in Budapest geboren und ebendort 1967 gestorben, gilt heute unter Kennern als einer der bedeutendsten Lyriker, Dramatiker und Essayisten Ungarns, dem gleichwohl die breite Anerkennung im eigenen Land versagt blieb. Populär wurde er allerdings mit seinem einzigen, in viele Sprachen übersetzten Roman (nämlich »Die Geschichte meiner Frau«), der in Ungarn seinen Ruf als erfolgreicher Romancier begründete.


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© Ralf 2007