• Wsewolod Iwanow: Die Rückkehr des Buddha
• Laura Gonzenbach: Sizilianische Märchen
• Francisco Delicado: Lozana, die Andalusierin
• Edmond u. Jules de Goncourt: Blitzlichter
• Alexander Herzen: Briefe aus dem Westen
• Georges Darien: Der Dieb
• Henry Walter Bates: Am Amazonas
• Irene Dische: Fromme Lügen
• William Pfaff: Die Gefühle der Barbaren
• William Makepeace Thackeray: Barry Lyndon
• Bernard Lewis: Die Assassinen
• Denis Diderot: Briefe an Sophie
Greno 1989, AB 49, 367 S.
Iwanow ist 1895 am Rande der zentralasiatischen Steppe geboren. Die exotische Kultur, die Weite und Verlorenheit dieser Landschaft hat ihn für immer geprägt. Das verleiht seinem Erzählstil einen unverwechselbaren Charakter. In den Bruchlinien seiner Geschichten treten die inneren Konflikte des Vielvölkerstaats schon zur Zeit seiner Entstehung deutlich hervor.
Die Titelerzählung des Bandes, Die Rückkehr des Buddha, zeigt exemplarisch den phantastischen Realismus Iwanows, seine ideologische Indifferenz und seine ins Rätselhafte verschobene Perspektive: eine geraubte Buddha-Statue soll, mitten im Bürgerkrieg, nach Asien zurückgebracht werden. Die aberwitzige Reise durch das hungernde und kämpfende Rußland endet im Wüstensand. Der Hüter des Buddha wird von kirgisischen Räubern ermordet, und der »farbige Wind« weht die zerbrochene Statue zu...
Greno 1989, AB 50, 351 S.
Laura Gonzenbach, eine gebürtige Sizilianerin deutscher Herkunft, hat in den Dörfern der Westküste und in der Umgebund des Aetna beinah hundert Märchen gesammelt, von denen hier eine Auswahl vorgelegt wird.
»Die Meisten erzählen mit unendlicher Lebhaftigkeit, indem sie dabei die ganze Handlung mitagieren, mit den Händen sehr ausdrucksvolle Gebärden machen, mitunter sogar aufstehen, und, wenn es gerade paßt, in der Stube herumgehen.« Gleichwohl ist in diesen Erzählungen wenig von der vermeintlichen Heiterkeit der Südländer zu spüren. Wir haben es mit jenem schroffen Sizilien zu tun, von dem die grausamen Geschichten Giovanni Vergas handeln.
Es ist eine arme Welt, die dem Leser hier entgegentritt; ihre Prinzen und Könige sind vermummte Grundherren; und nach dem happy end heißte es lakonisch: »So lebten sie denn vergnügt und glücklich, wir aber haben das Nachsehen.«
Greno 1989, AB 51, 453 S.
Eine Reportage in sechsundsechzig Heften aus dem Rom der Renaissance
Rom zu Anfang des 16. Jahrhunderts: die Hauptstadt der Christenheit ist zur babylonischen Hure geworden. Kardinäle und Zuhälter, Fürsten und Betrüger, Söldner und Kurtisanen, Scharlatane und Gelehrte, Killer und Quacksalber reiben sich auf ihren Gassen die Ärmel. Die Bevölkerung der Stadt besteht fast ausschließlich aus Parasiten.
Die Loszana andaluza, eine Folge von 66 Dialogen, ist ein springlebendiger Cicerone durch das soziale Unterholz dieser ausschweifenden Kapitale, halb Sozialreportage, halb komödiantische Fiktion. Nicht die höfische Perspektive des Vatikans und der Aristokratie herrscht hier vor, sondern der Blick von unten. Die Titelheldin, eine Arbeitsemigrantin aus der fernen spanischen Provinz, ist eine Art Mutter Courage der Metropole. Aber ihr Überleben steht unter dem Zeichen der bevorstehenden Katastrophe Roms, die der Autor am Schluß mit dürren Worten beim Namen nennt: »Vierzigtausend deutsche Barbaren und siebentausend barfüßige, hungrige und durstige Spanier fielen über die Stadt her, züchtigten uns und plünderten uns bis aufs Hemd aus.«
Greno 1989, AB 52, 333 S.
Was sich da in der Hauptstadt des neunzehnten Jahrhunderts versammelt, vom zweiten Empire bis zum fin de siècle, ist eine unheimliche Gesellschaft, nervös und schamlos, brutal und raffiniert. Die beiden Brüder Goncourt haben sie mit bösem Blick gesehen und in jenen unbewachten Augenblicken, wo der Schleier der Konvention zerreißt, mit ätzender Radiernadel festgehalten.
Aus den über Jahrzehnte hinweg verstreuten Notizen der Goncourts hat Anita Albus ein paar Dutzend Portraits von seltener Schärfe gewonnen. Dabei rücken die großen Berühmtheiten der Epoche neben obskure, ja anrüchige Personen, und wir finden Flaubert und Baudelaire neben einer Hebamme oder einem zwielichtigen Journalisten, Degas und Turgenjew neben einer Kurtisane oder einem Bankier, Zola und Herzen neben einer Halbweltdame oder einer Dienstmagd. In der Mitte dieser Portraitgalerie ist eine Figur von gespenstischer Leere zu bewundern: Napoleon III., der Hochstapler auf dem Thron.
Greno 1989, AB 53, 475 S.
Alexander Herzen (1812 bis 1870), der illegitime Sohne eines russischen Gutsbesitzers und einer Deutschen, war Mittelpunkt der literarischen und politischen Salons in Moskau. Er wurde in Rußland zweimal für mehrere Jahre verbannt und lebte seit 1847 in Westeuropa. Zu seinen Freunden zählten Marx, Garibaldi und Proudhon.
Herzens politisches Denken ist von höchster politischer Aktualität. Bei keinem zweiten Schriftsteller des 19. Jahrhunderts finden sich derart prophetische Aussagen über das Scheitern der Revolutionen, die Widersprüche des Sozialismus und die Zukunft der Demokratie. Seine Prosa bewahrt den Glanz und die Beweglichkeit, die Leidenschaft und die Eleganz der großen Aufklärer, doch seine Argumente sind frei von Illusionen und dem Dogmatismus dieser Vorgänger. Insofern ist er auch ein Vorläufer heutiger Vernunftkritik.
Greno 1989, AB 54, 503 S.
Georges Darien hat sich in seinen literarischen und politischen Aktivitäten immer wieder mit den herrschenden Mächten in Frankreich angelegt.
André Breton: Dieser Roman »ist der heftigste Sturmangriff auf Heuchelei, Betrug, Dummheit und Feigheit, den ich kenne. Darien, die Auflehnung in Person, bleibt bis heute die höchste Verkörperung des Einzigen, wie Stirner ihn wollte: einer, der vom ersten bis zum letzten Tag ›ein freier Mensch auf einer freien Erde‹ zu sein verlangt hat.«
Dieser unverschämte Roman ist keine naive Apotheose des Verbrechens, und er nimmt bei seiner Abrechnung auch die Hohepriester der organisierten Opposition, die Funktionäre des Sozialismus und der Anarchie, keineswegs aus. Aus Dariens Kriminalroman spricht der hellsichtige Hohn eines verzweifelten Moralisten.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam sein Roman zu spätem Ruhm. Er erlebte in Frankreich zahlreiche Neuauflagen und wurde von Louis Malle verfilmt.
Greno 1989, AB 55, 605 S.
Greno 1989, AB 56, 297 S.
Die Titelgeschichte dieses Buches spielt in einem New Yorker Leichenschauhaus. Die Erzählerin schreckt vor keinem bizarren und makabren Detail zurück. Aber das eigentlich Skandalöse an ihrer Prosa ist weder der grelle Stoff noch das absurde Detail, sondern ihr kaltblütiger Humor, ihre absolute Unbefangenheit. Es fehlt ihr einfach jenes berechtigte schlechte Gewissen, jener Moralismus der »Wiedergutmachung« und jenes Harmoniebedürfnis, das in der deutschen Nachkriegsliteratur so klebrige Spuren hinterlassen hat.
Kein Wunder also, daß man ihr Mangel an Takt und Pietät oder antiamerikanische, antideutsche, antijüdische Affekte vorwirft. Natürlich zu Unrecht, denn es geht ihr nicht um Provokationen, und schon gar nicht um irgendwelche Meinungen. Das Ungeheure erscheint in ihren Geschichten hinterrücks, im Nebensatz. Noch einmal finden sich in einem kühlen Licht, wie auf dem Tisch des Schauhauses, die Spätfolgen einer vernichteten Symbiose ausgestellt, die nichts als unsägliche Geheimnisse und fromme Lügen hinterließ.
Eichborn 1989, AB 57, 303 S.
Mit den »Barbaren« sind die Europäer gemeint. Einem imperialen Denken, wie es nach wie vor die Politik der USA beherrscht, erscheint die ganze Außenwelt barbarisch, und das heißt, ebenso bedrohlich wie unverständlich.
William Pfaff bricht mit dieser Perspektive; das macht ihn einzigartig unter seinen Landsleuten. Es ermöglicht ihm, die weltpolitische Lage am Ende des 20.Jahrhunderts ohne die Scheuklappen zu sehen, die der Preis für den Status einer Supermacht sind. Von den üblichen Kommentatoren, Sicherheitsberatern und Leitartiklern unterscheidet ihn nicht nur die Freiheit vom Vorurteil, sondern auch seine intime Kenntnis der »Barbaren«, ihrer Geschichte, ihrer Probleme, ihrer Interessen, ihrer Kultur.
Eichborn 1989, AB 58, 431 S.
The Memoirs of Barry Lyndon, Esq. ist Thackerays radikalster Roman. Weltberühmt wurde er, über ein Jahrhundert nach seinem Erscheinen, erst durch Stanley Kubricks Verfilmung. Es fehlt ihm ganz die viktorianische Behäbigkeit. Er spielt im gewalttätigen 18. Jahrhundert und handelt vom Untergang des Ancien régime in Europa. Doch der rosige Realismus des historischen Romans wird hier gründlich sabotiert, und zwar durch die Perspektive des Helden, der zugleich der Erzähler seiner eigenen Karriere ist.
Barry Lyndon nämlich ist nicht nur ein typischer Pikaro, ein Abenteurer, Mitgiftjäger, Hasardeur, Hochstapler und Verschwender. Er ist vor allem ein unverbesserlicher Mythomane, der dreist und selbstgefällig an seine eigenen Lügen glaubt. Ein frühes Beispiel satirischer Rollenprosa also, die uns als Leser dauernd aufs Glatteis führt.
Eichborn 1989, AB 59, 263 S.
Eichborn 1989, AB 60, 400 S.
Es ist, als höben wir den Hörer ab, und der genialste, der liebenswürdigste aller Aufklärer riefe uns aus dem achtzehnten Jahrhundert an, um uns zu erzählen, was ihm vor einer Stunde widerfahren und was ihm vor einer Minute eingefallen sei. So unmittelbar, so spontan klingen die Briefe, die Diderot über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren an seine zärtliche Freundin Sophie Volland geschrieben hat.
Klatsch und Theorie, Polemik und Vergnügen, Scherz und Tiefsinn, Wissenschaft und Anekdote, Politik und erotisches Verlangen finden sich in diesen hingeworfenen Zeilen herrlich ineinander verknäult. Diderot macht uns zu Ohren- und Augenzeugen seiner Produktion und gewährt uns einen einzigartigen Zugang zur Werkstatt seiner Ideen, zum Laboratorium seiner Ahnungen und zum Treibhaus seiner Wünsche.