AB - Die Andere Bibliothek: Sonderbände


Johann Kaspar Riesbeck (2013)
Diderots Enzyklopädie (neu) (2013)
Uwe Bremer, Albert Schindehütte, Johannes Vennekamp, Arno Waldschmidt (2013)
Adelbert von Chamisso (2012)
Heinz Rölleke, Albert Schindehütte (2011)
Johann Friedrich Naumann (2009)
Georg Forster (2007)
Alexander von Humboldt (2004)
Denis Diderot (2001)
Michel de Montaigne (1998)



Johann Kaspar Riesbeck:

Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder in Paris

Begleitet von Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz

AB – Die Andere Bibliothek 2013, 681 S.

Er ist ein weithin Vergessener. Aber er zählt zu den Großen einer klassischen aufklärerischen Reiseliteratur vor der Französischen Revolution. Er inspizierte das Deutschland seiner Zeit; ein Ahnherr des Reisejournalismus, in Briefform und auf höchstem literarischen Niveau. Sein Hauptwerk in zwei Bänden, 1783 in Zürich verlegt, erschien anonym, erreichte aber rasch mehrere Auflagen und fand, übersetzt in England oder Frankreich, in Holland oder Schweden, weite Verbreitung: Als vielzitierte Briefe eines reisenden Franzosen.

Johann Kaspar Riesbeck hieß der Autor. Nie wieder erschien seitdem sein großes Zeitgemälde in einer so vollständigen Ausgabe: Angereichert mit vielen zeitgenössischen Stichen, Karten und Städteabbildungen, entfaltet sich ein breites buntes Sittenpanorama. Von Johann Wolfgang von Goethe empfohlen, gehörte er zu den Redakteuren in der Gründungszeit der »Zürcher Zeitung«.

Riesbeck ging nicht auf traditionelle Künstler- oder Bildungstour. Er reiste auch viel zu Fuß und sah genauer als andere. So konnte er mehr über die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Lage der Menschen, der »untersten Klassen«, erfahren. Mehrfach in den Jahren zwischen 1770 und 1780 durchquerte er Deutschland. Und zwischen Berlin, Dresden, Leipzig und Weimar, Prag, Wien und Salzburg, München, Bayern und dem deutschen Südwesten, von Stuttgart über Frankfurt, Mainz, Köln durch die Mitte Deutschlands bis nach Hamburg und Dänemark sind es über hundert Stationen, auf denen er wie ein moderner Restauranttester seine Sterne vergab.

Riesbecks anschauungsgesättigte und unterhaltsame Reiseberichte sind mit dem Blick eines Sozialhistorikers verfasst. In seinen exakten Landschafts-, Stadt- und Menschenbeschreibungen wird deutsche Geschichte wunderbar lebendig: Bis ins Detail gehen seine Porträts, angereichert mit statistischen Angaben. Johann Kaspar Riesbeck ist ein früher Ethnologe, seinem neugierigen Blick blieb wenig verborgen.

Buchgestalterin: Magdalene Krumbeck



Diderots Enzyklopädie

Mit Kupferstichen aus den Tafelbänden

Neu editiert von Anette Selg und Rainer Wieland

AB – Die Andere Bibliothek 2013, 508 S.

Die Enzyklopädie oder das vernünftig durch­dachte Lexikon der Wissenschaften, Künste und Gewerbe: Sie wurde zum Synonym für das, was uns Späteren als das Jahrhundert der Aufklärung erscheint.

Als die ersten Bände dieses von Denis Diderot und seinem Freund Jean Baptiste le Rond d’Alembert konzipierten Kompendiums allen Wissens ihrer Zeit 1751 erschienen, trafen sie auf ein überwältigendes Interesse: Diderots Enzyklopädie erleuchtete die Eliten Europas.

Ob Intellektuelle oder Ingenieure, Juristen oder Ärzte, Ökonomen oder die sich herausbildenden Manufakturbetreiber – die Verständigung des gebildeten Publikums über die damals bekannte Welt fand zu einer neuen gemeinsamen Sprache. Jenseits von christlichem Weltbild und königlichem Gottesgnadentum versammelte die Enzyklopädie aus den Bereichen »Wissenschaften, freie Künste und mechanische Künste« das Weltwissen im Zeichen von Vernunft und Wissenschaft. Die Enzyklopädie betrieb Aufklärung – gegen den erbitterten Widerstand der Kräfte des »alten Regimes«.

Denis Diderot beschrieb selbst das Wesen des von ihm geleiteten, immer wieder ökonomisch, politisch, juristisch bedrohten Mammutunternehmens im lexikalischen Eintrag unter E – wie Enzyklopädie: »Tatsächlich zielt eine Enzyklopädie darauf ab, die auf der Erdoberfläche verstreuten Kenntnisse zu sammeln, das allgemeine System dieser Kenntnisse den Menschen darzulegen, mit denen wir zusammenleben, und es den nach uns kommenden Menschen zu überliefern, damit die Arbeit der vergangenen Jahrhunderte nicht nutzlos für die kommenden Jahrhunderte gewesen sei...«

Fast zwanzig Jahre verbrachte Denis Diderot mit der Enzyklopädie: Sie ist sein mit ungeheurer Begeisterung und Hartnäckigkeit durchgeführtes Lebenswerk, sie ist eines der Hauptwerke der Aufklärung. Und: Die Enzyklopädie war ein glänzendes Geschäft. Sie enthält Beiträge von 142 namentlich bekannten weiteren Bearbeitern – darunter von Berühmtheiten wie d’Holbach, Montesquieu, Rousseau oder Voltaire; und die wohl einzige Frau zeichnete als Susanne-Marie de Vivans.

Diderot, selbst Sohn eines Messerschmiedemeisters, lud zudem Handwerker ein, die gleichberechtigt neben Philosophen oder Künstlern, schrieben: ein Uhrmacher etwa über die Mechanik eines Uhrwerks. Als er selbst nach 17 Textbänden (etwa 18.000 Seiten / etwa 72.000 Artikeln) und zugehörigen Bildtafelbänden die eigene Arbeit an die Nachfolger übergab, wusste er, wie er selber schrieb: »Wenn man den unermesslichen Stoff einer Enzyklopädie überblickt, erkennt man deutlich nur eins: nämlich daß sie keinesfalls das Werk eines einzigen Menschen sein kann.«

Die Neuedition von Anette Selg und Rainer Wieland folgt der Überlegung: Was interessiert uns aus diesem gewaltigen Steinbruch des Lebens noch heute? Beigegeben sind unserer neuen Ausgabe ausgewählte Kupferstiche aus den Tafelbänden – die auf uns wie lebendige Bildgeschichten aus der Welt des 18. Jahrhunderts wirken.

Buchgestalter: Ralf de Jong



Uwe Bremer, Albert Schindehütte, Johannes Vennekamp und Arno Waldschmidt

Die Druckwerkstatt der Dichter

Rixdorfer Wort- und Bilderbögen

Mit einem Vorwort von Bernd Küster und
einem Nachwort von Hans Christoph Buch

AB – Die Andere Bibliothek 2013, 447 S., Folioformat

In Kreisen von Künstlern und Kennern waren »Die Rixdorfer« und ihre Drucke mittels ausgedienter Blei- und Holzlettern schon vor 50 Jahren ein Begriff – heute sind die vier Bohemiens eine hochvitale Künstlerlegende zu Lebzeiten: bloß ein halbes Jahrhundert älter.

Aus dem Gründungsquintett ist Günter Bruno Fuchs, der 1977 gestorbene Mentor und Malerpoet mit den typischen Großstadtgeschichten, schon früh ausgeschieden – Uwe Bremer, Ali (urkundlich: Albert) Schindehütte, Johannes Vennekamp und Arno Waldschmidt aber praktizieren ihr Handpressen-Gruppen-Handwerk bis heute in der typischen Verbindung von Wortkunst und Druckkunst, in Wort- und Bilderbögen – und sind immer wieder in Ausstellungen zu besichtigen.

Text, Typografie und Holzschnitt vereinen sich auf gewitzt provokativen Blättern, und von Anfang an stand die Zusammenarbeit mit den Dichtern und Schriftstellern im Zentrum; zu den ersten Mitwirkenden zählten einst Gerhard Rühm und H.C. Artmann.

In Sichtweite der Anderen Bibliothek am Berliner Moritzplatz in Kreuzberg entstanden die ersten bibliophilen Kunstwerke der »Rixdorfer« mit stilbildender Typografik. Wären die Foliobände der Anderen Bibliothek nicht schon begehrte Sammlerobjekte, sie müssten es nun in Zusammenarbeit mit den »Rixdorfern« endgültig werden.

Viele Texte der Autorenfreunde sind in deren Anwesenheit für die Druckprojekte in der Werkstatt entstanden, eine Autorenliste, die Literaturgeschichte geschrieben hat, darunter: Peter Bichsel, Nicolas Born, Hans Christoph Buch, F.C. Delius, Helmut Eisendle, Rolf Haufs, Otto Jägersberg, Ernst Jandl, Sarah Kirsch, Michael Krüger, Reinhard Lettau, Peter Rühmkorf oder Jürgen Theobaldy.

Uwe Bremer, Albert Schindehütte, Johannes Vennekamp und Arno Waldschmidt gründeten 1963/64 gemeinsam mit Günter Bruno Fuchs die Werkstatt Rixdorfer Drucke. Sie fertigten Malerei, Grafik und Drucke. Der Nährboden dafür waren regelmäßige Treffen in einem Kreuzberger Hinterhof in Berlin Anfang der 60er Jahre, wo sich die Werkstatt dann gründete und seit 1974 im Wendland weitergeführt wurde.

Buchgestalterin: Barbara Kloth



Adelbert von Chamisso

Reise um die Welt

Mit einem essayistischen Nachwort von Matthias Glaubrecht

AB – Die Andere Bibliothek 2012, 526 S.

Adelbert von Chamisso in der Anderen Bibliothek.

Eine Reise um die Welt, wie sie farbprächtiger nicht sein kann.

Mit den erstmals vollständig versammelten Lithographien von Ludwig Choris – berührend-brillante Dokumente, die eine untergegangene außereuropäische Welt lebendig festhalten.

Als Autor von Peter Schlehmils wundersamer Geschichte und als Dichter ist er weltberühmt geworden; als Kustos des Berliner Botanischen Gartens und Leiter des Herbariums ist er wenigen bekannt – und als Weltreisenden, mit dem »Hauptstück« seiner Lebensgeschichte, müssen ihn die meisten Leser erst noch kennenlernen: 1836 stellte Adelbert von Chamisso sein letztes Werk vor, die Reise um die Welt – vor fast zwei Jahrhunderten auf einem russischen Expeditionsschiff als Botaniker; unternommen zur Erkundung der kürzesten Verbindung von Europa nach Asien, vom Pazifik her.

Auf der Brigg »Rurik« begleitete ihn während der Jahre 1815–1818 auch Ludwig York Choris als offizieller Zeichner und Maler, ein junger deutschstämmiger Russe, der in Paris später Bildbände veröffentlichte – illustriert mit Lithografien, die »Louis« Choris nach Zeichnungen fertigte – einer der größten Zeichner und Maler, die jemals den Pazifik bereisten.

Die damals sensationelle Weltumseglung, die zweite in der russischen Geschichte, führte Chamisso von Kopenhagen über Teneriffa, Brasilien und Chile nach Alaska, San Francisco, Hawaii und in die südpazifische Inselwelt.

    In Chamissos »Klassiker« Reise um die Welt sind
       der anekdotische Reiseerzähler,
       der Naturforscher von enzyklopädischem Interesse,
       der aufklärerische Ethnologe und
       der enthusiastisch lebensbilanzierende Dichter vereint.

Adelbert von Chamisso wurde 1781 als Louis Charles Adélaide de Chamisso de Boncourt in der Champagne geboren und kommt mit seinen Eltern auf der Flucht vor der Revolution 1796 nach Berlin, wo er 1838 stirbt – berühmt als Dichter, als Philologe, als kosmopolitischer Aufklärer und als ein Naturforscher, der auf Vorschlag Alexander von Humboldts zum Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften ernannt wurde.

Ludwig Choris wurde 1795 in der heutigen Ukraine geboren. Seine Ausbildung erhielt er an der Universität von Charkow und in Sankt Petersburg. Nach seiner Rückkehr von der Weltumsegelung ging Choris 1819 nach Paris und wurde später Maler für das Museum im Pariser Jardin des Plantes. Er starb 1828.

Buchgestalter: Victor Malsy



Heinz Rölleke, Albert Schindehütte:
Es war einmal...
Die wahren Märchen der Brüder Grimm und wer sie ihnen erzählte

Eichborn November 2011, 439 S., Folioformat

»Wer hat den Brüdern Grimm was, wann und wie erzählt?«

Es war einmal…

Wir alle sind mit ihren Märchen aufgewachsen. Mehr noch: Die Brüder Grimm haben nicht nur unsere Kindheit begleitet, »Grimms Märchen« gehören seit über 170 Jahren zu den ersten Begegnungen mit großer Literatur. Der neue opulente Sonderband der ANDEREN BIBLIOTHEK macht die Erstfassung der Kinder- und Hausmärchen in der ersten – und weitgehend unbekannten Fassung wieder zugänglich.

So eindrucksvoll wie die Märchen ist auch ihre Entstehungsgeschichte – die Brüder Grimm haben ihre Märchen zwar verfaßt, aber wer hat sie ihnen zugetragen? Während die beiden Philologenbrüder ihre literarischen Quellen benannten, machten sie zu den mündlich oder handschriftlich zugekommenen Märchen lediglich vage oder namenlose Angaben. Der Kreis der zumeist jungen Zuträger blieb weitgehend anonym.

Die beiden Brüder aus Kassel waren vor allem gute Zuhörer und Sammler: Mehr als 25 der bis vor nicht langer Zeit unbekannten und geheimnisvollen Geschichtenzuträger werden hier erstmals vorgestellt, mit ihren Lebengeschichten und ihrem besonderen Erzählstil.

Nur in der hier editierten Erstfassung von 1812 können wir noch die Märchen dieser Zuträger hinter den Märchen lesen, scheint der Dialog zwischen Erzählern und Sammlern noch durch. In den späteren und gefälligeren Fassungen wird das ursprüngliche Repertoire der Beiträger immer unkenntlicher.

Und natürlich – wir finden in diesem von Albert Schindehütte illustrierten Prachtband die Märchen wieder, die wir lieben – in der selten gedruckten Erstfassung aus dem Jahr 1812: vom »Teufel und seiner Großmutter« und »Dornröschen« über »Rothkäppchen« und die »Bremer Stadtmusikanten« bis »Der gestiefelte Kater« und »Frau Holle«.

Seit ihrem Erscheinen vor 200 Jahren sind die von Jacob und Wilhelm Grimm gesammelten Märchen das meistaufgelegte, meistübersetzte und bekannteste Buch in der deutschen Literaturgeschichte geworden – ein Bestseller und längst Bestandteil der Weltliteratur.

Heinz Rölleke befreit die Erzähler hinter den Märchen, die im Gewand ihrer Märchen längst weltbekannt wurden, aus ihrer Anonymität und gibt 25 von ihnen den Namen zurück – woher stammten sie und über welches Repertoire verfügten sie, woher kannten sie ihre Stoffe? Heinz Rölleke schenkt den wundersamen Sirenen, die die Märchen zuflüsterten, wieder ihre Stimme.
Hein Rölleke wurde 1936 geboren und war bis zu seiner Emeritierung Professor für Deutsche Philologie einschließlich Volkskunde. Zahlreiche Veröffentlichungen und der international renommierteste Grimm-Forscher.

Albert Schindehütte, ebenfalls ein großer Kenner des Grimmschen Werkes und seit 1997 als ihr Gründer in der Schauenburger Märchenwache für sie tätig, umkleidet die Märchen mit seinen prächtigen und farbigen Kalligraphien.
Albert Schindehütte wurde 1939 in Kassel geboren. Sein künstlerisches Werk umfaßt Zeichnungen, Radierungen, Holzschnitte, Lithografien und viele Buchveröffentlichungen und wird in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt.

Buchgestalterinnen: Susanne Reeh, Cosima Schneider



Johann Friedrich Naumann

Die Vögel Mitteleuropas

Herausgegeben und mit einem Essay von Arnulf Conradi

Eichborn Oktober 2009, 520 S.

Johann Friedrich Naumann lebte von 1780 bis 1857. Er war und ist der bedeutendste deutsche Ornithologe. Aber mehr noch als seine wissenschaftlichen Leistungen beeindrucken uns heute die natürliche Schönheit seiner Vogelbilder und die erstaunliche Kreativität seiner Sprache. Niemand hat jemals besser über Vögel geschrieben. Über Johann Friedrich Naumanns Werk und seine Vogelbilder sagt Claus Nissen in seinem 1953 erschienenen Buch Die Illustrierten Vogelbücher: »Die sorgfältige Ausmalung macht diese Naturgeschichte der Vögel Deutschlands ... rein äußerlich zum schönsten deutschen Vogelbuch, das unter bibliophilen Gesichtspunkten wohl eine Auferstehung mittels heutiger Reproduktionstechniken verdienen könnte. Es hat immerhin Goethe, der auch auf diesem Gebiet einige Kennerschaft besaß, zu fast begeisterter Anerkennung hingerissen.«

Zu Lebzeiten war Johann Friedrich Naumann nicht nur in Deutschland berühmt und hochgeehrt, aber seit dem Zweiten Weltkrieg ist er im Gegensatz zu seinen englischsprachigen Zeitgenossen John Gould und John James Audubon fast vergessen. Dieses Buch soll sowohl die Schönheit und Genauigkeit seiner Vogelbilder als auch den Glanz seiner Sprache in Erinnerung rufen. Johann Friedrich Naumann ist ein vergessenes deutsches Genie.

Johann Friedrich Naumann, geboren am 14. Februar 1780 in Ziebigk bei Köthen, Sachsen-Anhalt, gestorben am 15. August 1857 ebendort, war ein begnadeter Vogelmaler und gilt als Begründer der Vogelkunde in Mitteleuropa. Inspiriert durch seinen Großvater und Vater, legte er im Laufe seines Lebens eine Sammlung von mehr als 700 einheimischen Vögeln in ca. 350 Arten an, die er in speziell hergestellten Glasvitrinen ausstellte. Zum didaktischen Konzept seines »Museums« gehörte auch die Präsentation der Präparationstechnik von Vögeln. Die Sammlung Naumanns wurde 1821 von Herzog Ferdinand Friedrich von Anhalt-Köthen für 2000 Reichstaler in Gold gekauft und in den Ausstellungsräumen im »Neuen Schloß« von Naumann um viele weitere exotische Vogelarten erweitert.

Arnulf Conradi, der Herausgeber, arbeitete als Lektor bei Claassen, dann als Cheflektor und Programmgeschäftsführer elf Jahre bei den Fischer Verlagen in Frankfurt a. M. 1993 gründete er den Berlin Verlag, als dessen Verleger er bis zu seinem 60. Geburtstag im Jahre 2004 arbeitete. Arnulf Conradi, in Kiel aufgewachsen, ist seit Kiridertagen ein begeisterter Vogelbeobachter. Zu diesem Thema verfasste, übersetzte und bearbeitete er Bücher und Artikel. Er lebt in Berlin.

Conradis Porträt von J F Naumann in der ZEIT (2006).



Georg Forster: Reise um die Welt

Eichborn Oktober 2007, 608 S.

»Deutschlands erster großer Entdecker«

Der Weltumsegler und Forscher, der Schriftsteller, der Aufklärer, der Revolutionär Georg Forster ist der geheime, der verdrängte, der unterschlagene Klassiker der deutschen Literatur. Goethe hat den blutjungen Autor des großen Berichts von der zweiten Weltreise des Captain Cook (1772-1775) bewundert, und er beobachtete sein Geschick bis zum einsamen Tod in einer Pariser Dachkammer mit einem beinahe brüderlichen Interesse, obwohl er die Ideen des Mitgründers der Rheinischen Republik in Mainz nicht gutheißen konnte. Aber wie sollte Goethe den Kollegen nicht schätzen, der von seiner Ankunft am schönsten Gestade der Südsee mit solch poetischem Elan zu berichten verstand? »Ein Morgen war's, schöner hat ihn schwerlich je ein Dichter beschrieben, an welchem wir die Insel O-Tahiti 2 Meilen vor uns sahen. Der Ostwind, unser bisheriger Begleiter, hatte sich gelegt: Ein vom Lande wehendes Lüftchen führte uns die erfrischendsten und herrlichsten Wohlgerüche entgegen ... «

Als sein bildmächtiger Bericht von James Cooks Weltumseglung seinem erstaunten deutschen Publikum vorgelegt wurde, sprach nicht nur Wieland von einem »der merkwürdigsten Bücher unserer Zeit«: Zwischen sachlichem Bericht und episch-dramatischer Verve changiert der Ton, immer wieder unterbrochen von philosophischen Reflexionen, in denen Forster die Grundelemente des Menschseins an der sozialen Wirklichkeit mißt.

Georg Forsters Reise um die Welt

Nicht einmal achtzehn war Georg Forster, als er und sein Vater im Juli 1772 an Bord der Resolution gingen, um mit der Expedition James Cooks um die Welt zu reisen.

1111 Tage lang waren sie unterwegs, erforschten Regionen, in die vor ihnen noch kein Europäer je gekommen war. Sie entdeckten neue Wasserwege, neue Inseln, kartographierten terra incognita, fanden bislang unbekannte Pflanzen und Tiere, stießen auf Indianer, die noch nie einen Weißen gesehen hatten, und auf fremde Kulturen. Kein Deutscher hatte je soviel Welt gesehen wie Forster. Und er lieferte darüber einen Bericht ab, der in Europa Furore machte.

Unter dramatischen Umständen entstanden, gelang ihm ein Markstein der deutschen Literatur, auf exakten Beobachtungen basierend, zwischen sachlichem Bericht und episch-dramatischer Verve changiert der Ton, immer wieder unterbrochen von philosophischen Reflexionen, in denen Forster die Grundelemente des Menschseins ausmißt. Forster, der schon vorher als Wunderkind gegolten hatte (als Vierzehnjähriger hatte er eine Geschichte des Russischen Reiches aus dem Russischen in fehlerfreies Englisch übersetzt), zog nun alle Bewunderung auf sich.

Lichtenberg reiste eigens nach London, um ihn zu sehen, Humboldt erklärte ihn zum »hellsten Stern meiner Jugend«, Goethe, Benjamin Franklin und der große französische Naturforscher Buffon suchten die Bekanntschaft mit dem weitgereisten Universalgelehrten - der gerade mal zweiundzwanzig Jahre alt war. Sein Buch wurde Maßstab für Generationen von Forschern und Schriftstellern nach ihm.

Die Reise

Anfangs kreuzte die Resolution auf der vergeblichen Suche nach einem neuen Kontinent monatelang in der Kälte des Eismeers; Schiffszwieback, Sauerkraut und Pökelfleisch waren die einzige Nahrung, einmal gab es vier Monate keinen Landgang. »Auf einem Würfel von sechs Fuß, wo ein Bett, ein Kasten und ein Schreibtisch nur eben noch Platz für einen Feldstuhl übrigließen« waren die Forsters untergebracht. In den warmen Regionen der Südsee gab es dann zwar frischen Proviant, eine ungeahnt reichhaltige Flora und Fauna und viel Kontakt zu den Ureinwohnern - aber die Treffen mit den Südseeinsulanern waren nie frei von Gefahr. Mehrfach wurde die Schiffsbesatzung angegriffen, einmal fuhr Forster ein Speer »so nah an der Lende vorbei, daß die schwarze Farbe, womit er beschmiert war, mir das Kleid beschmutzte«, ein anderes Mal konnten die Forsters sich nach einem botanischen Ausflug gerade noch so vor einem Hinterhalt retten. Nicht alle hatten soviel Glück: Von einer Delegation des Schwesterschiffs, die nach einem Landgang nicht zurückgekommen war, fanden die Suchtrupps nurmehr »viel Körbe voll zerstückter und verstümmelter Glieder, unter welchen sie die Hand des armen Rowe deutlich erkannten. Die Hunde der Neu-Seeländer fraßen indes am Strand von den herumliegenden Eingeweiden.«

Forster ist indes weit davon entfernt, in den Ureinwohnern primitive Barbaren zu sehen. Sein Bericht ist frei von Ressentiment, voller Neugier und bisweilen gar verzückt über die unkorrumpierte Natur der Ureinwohner.

Die Bilder Georg Forsters und ihr Schicksal

Der blutjunge Naturforscher und sein Vater melden nach Abschluß der Expedition 270 neuentdeckte Tier- und Pflanzenarten. Forster hielt über 500 Pflanzen und Tiere im Bilde fest. Diese Zeichnungen sollten eigentlich Grundlage für die Kupferstiche der offiziellen Reisebeschreibung sein, die laut einer Verabredung Georgs Vater hatte liefern sollen. Doch der zerstritt sich derart heftig mit Cook und der englischen Admiralität, daß die Parteien am Ende vor Gericht standen, Cook seine anderweitig illustrierte eigene Reisebeschreibung verfaßte und Forsters Vater die Hände gebunden waren.

Also mußte Georg Forster - auf Grundlage der Notizen seines Vaters - in höchster Eile ein eigenes Buch schreiben, das die Forsters auf eigene Kosten druckten und das dem der englischen Admiralität zuvorkommen sollte.

Um ihr Buch zu finanzieren, mußten Vater und Sohn alles zu Geld machen, was sie hatten. Viel war da nicht - außer dem Schatz der Aquarelle und Zeichnungen, die Georg während der Schiffsreise unter zum Teil abenteuerlichen Umständen angefertigt hatte. Ein reicher Konkurrent, Joseph Banks, seines Zeichens naturkundlicher Begleiter der ersten Cook-Expedition, nahm die Bilder als Sicherheit für eine Summe Geldes entgegen, die er den Deutschen lieh.

Das Husarenstück gelang: Im März 1777, einen Monat vor der offiziellen Ausgabe, lag Forsters die Reise um die Welt auf englisch vor - allerdings ohne die Zeichnungen. 1778 erschien die deutsche Ausgabe bei Haude und Spener in Leipzig.

200 Jahre lagen Forsters Illustrationen in den Archiven - jetzt erscheint mit Unterstützung des Natural History Museums in London zum erstenmal Georg Forsters grandioser Reisebericht zusammen mit seinen prächtigen Aquarellen und Zeichnungen, die er während der Weltreise anfertigte.

Georg Forster, 1754 in Nassenhuben bei Danzig geboren, Sohn des Pastors (englischer Herkunft): Der Knabe, der zuvor mit dem Papa Rußland bereist hatte, zählte gerade achtzehn Jahre, als sich ihm die Chance bot, mit seinem Vater Captain Cook auf der zweiten Weltreise zu begleiten. Die Eindrücke und Beobachtungen, die er in seiner Reise um die Welt zusammenfaßte, begründeten seinen Ruf als herausragender Naturforscher und brillanter Schriftsteller. Er traf später Benjamin Franklin und den französischen Gelehrten Graf Buffon in Paris, pflegte einen regen Austausch mit Goethe, Herder und Wieland und sympathisierte mit den Idealen der Französischen Revolution, die er am Ende einer dreimonatigen Reise mit dem jungen Alexander von Humboldt in Paris aus unmittelbarer Nähe erlebte. Forster war einer der Gründer der ersten deutschen Republik in Mainz, ein überzeugter Jakobiner, der zum Deputierten in die Pariser Nationalversammlung gewählt wurde. In Deutschland vom Kerker bedroht, starb er 1794 vereinsamt im Alter von nur 39 Jahren an den Folgen einer Tropenkrankheit.

Mehr über sein Leben erfährt man auch in Band 139 der Anderen Bibliothek.



Alexander von Humboldt: Kosmos

Entwurf einer physischen Weltbeschreibung

Herausgegeben von Ottmar Ette und Oliver Lubrich

Eichborn September 2004, 936 S.

»Alexander ist gemacht, Ideen zu verbinden, Ketten von Dingen zu erblicken, die Menschenalter hindurch, ohne ihn, unentdeckt geblieben wären. Ungeheure Tiefe des Denkens, unerreichbarer Scharfblick, und die seltenste Schnelligkeit der Kombination«
Wilhelm von Humboldt

Während die Bibel im Supermarkt verramscht wird, ist Humboldts Gegenentwurf zur Heiligen Schrift selbst in den größten Buchhandlungen kaum zu finden. Soviel zur deutschen Wissensgesellschaft. Armes Deutschland! Humboldts Kosmos gehört zum unverzichtbaren Kanon unserer Zivilisation, und die Zeit ist reif, dieses Werk wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

Die Bedeutung des Kosmos kann nicht besser beschrieben werden als mit Humboldts eigenen Worten: "Ich fange den Druck meines Werkes (des Werks meines Lebens) an. Ich habe den tollen Einfall, die ganze materielle Welt, alles was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume, von den Nebelsternen bis zur Geographie der Moose auf den Granitfelsen wissen, alles in Einem Werke darzustellen, und in einem Werke, das zugleich in lebendiger Sprache anregt und das Gemüth ergötzt. Jede große und wichtige Idee, die irgendwo aufglimmt muß neben den Thatsachen hier verzeichnet sein."

Der große Naturforscher und Universalgelehrte läßt Muschelverkalkungen und Sternschnuppen vom Ursprung der Welt erzählen, berichtet von Schwarzen Löchern, fernen Kometen, der Schönheit der Natur der Tropen und des Eismeers. Er lehrt uns das Staunen und weckt in uns die Lust, weiter zu fragen: Wie schön wäre es doch, wenn man mehr wüßte ...

Alexander von Humboldts populärwissenschaftlichen Kosmos-Vorlesungen, die die Keimzelle seines großen Werkes bilden, lauschte einst halb Berlin - vom Arbeiter bis zur Hofgesellschaft. Die Ersausgabe des Kosmos ist 1845 bis 1862 in fünf Bänden bei Cotta in Tübingen erschienen. Sie erreichte eine Auflage von 80000, für damalige Verhältnisse ein enormer Erfolg. Unsere Neuedition berücksichtigt erstmals auch alle von Humboldt vorgenommenen Korrekturen und Zusätze.
Für die wissenschaftliche Zuverlässigkeit bürgen zwei ausgewiesene Humboldt-Experten: Ottmar Ette & Oliver Lubrich.























dazu gehört:

Heinrich Berghaus: Physikalischer Atlas

Sammlung von Karten, auf denen die hauptsächlichsten Erscheinungen der anorganischen und organischen natur nach ihrer geographischen Verbreitung und Vertheilung bildlich dargestellt sind.

Eichborn September 2004, 178 S.


»Wissen und Erkennen sind die Freude und die Berechtigung der Menschheit; sie sind Theile des National-Reichthums, oft ein Ersatz für die Güter, welche die natur in allzu kärglichem Maaße ausgetheilt hat. Diejenigen Völker, welche in der allgemeinen industriellen Thätigkeit, in Anwendung der mechanik und technischen Chemie, in sorgfältiger Auswahl und Bearbeitung natürlicher Stoffe zurückstehen, bei denen die Achtung einer solchen Thätigkeit nicht alle Classen druchdringt, werden unausweichlich von ihrem Wohlstand herabsinken.«



außerdem:

Alexander von Humboldt:
Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas

übersetzt von Claudia Kalscheuer
herausgegeben von Ottmar Ette und Oliver Lubrich

Eichborn September 2004, 448 S.
















Diese große Erzählung zeigt Humboldt auf der Höhe seiner Möglichkeiten als Entdeckungsreisender, Naturwissenschaftler, Historiker und Anthropologe. Sie umfaßt nicht nur die Landschaften und die Pflanzenwelt Lateinamerikas, sondern auch Rituale und Menschenopfer, Mythen und Kalendersysteme, Schmuck und Kleidung, Architektur und Kunst, Eroberungszüge und Völkerwanderungen sowie die Grausamkeiten der Spanier und die Vernichtung der indigenen Reiche. Humboldts Werk sprengt die Grenzen und die Perspektiven jeder Einzeldisziplin. Als einer der ersten hat er erkannt, daß die altamerikanischen Kulturen ebenso zum Erbe der Menschheit gehören wie die der Ägypter, der Inder, der Griechen und der Römer.

Mit seiner sprachlichen Originalität und dem Reichtum seiner Illustrationen lädt dieser Band zum Besuch eines imaginären Museums ein, in dem Bilder und Texte einander beleuchten. Humboldts Ansichten gehen nicht nur die Wissenschaft an. Jeder, der Lateinamerika kennt und liebt, wird hier auf seine Kosten kommen.



Die Herausgeber:

Ottmar Ette, geboren 1956 im Schwarzwald, ist Professor für Romanische Literaturwissenschaft an der Universität Potsdam. Für seine Edition von Alexander von Humboldts Reise in die Äquinoktial-Gegenden (2 Bde., 1991) wurde er mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis ausgezeichnet.

Oliver Lubrich, geboren 1970 in Berlin, ist Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin.



Denis Diderot

Die Welt der Encyclopédie

editiert von Anette Selg & Rainer Wieland

Eichborn September 2001, 485 S.

Im ersten Jahr des neuen Jahrtausends feiert ein Werk seinen 250. Geburtstag, das wie kein anderes zum Synonym für die europäische Aufklärung geworden ist: die Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, konzipiert und herausgegeben von Denis Diderot und Jean le Rond d'Alembert.

Von den sterilen und langweiligen Lexika unserer Zeit, deren Inhalt immer schneller veraltet, unterscheidet sich die Encyclopédie radikal: Ihren Autoren ging es nicht nur darum, ein Kompendium des damaligen Wissens zu erstellen, ihr Ziel war es, die Welt neu zu denken. Das macht die Lektüre auch heute noch, wo uns der Gedanke, die Menschheit könne durch Wissen glücklicher werden, immer kühner erscheint, zum Vergnügen.

Die Welt der Encyclopédie wird die wichtigsten Artikel Diderots enthalten, der mit mehreren tausend Einträgen einen Löwenanteil der Arbeit übernahm. Neben seinen brillanten polemischen Beiträgen kommen auch die berühmten Mitstreiter wie Rousseau, Voltaire und Montesquieu zu Wort. Auch die ketzerischen Kassiber werden nicht fehlen, die immer wieder die Zensur auf den Plan riefen. Das Hauptkriterium der Auswahl ist jedoch die Überlegung, was uns aus diesem riesigen Steinbruch des Lebens heute noch interessieren kann: Welche der 72ooo Artikel gehören zum GEISTIGEN HANDGEPÄCK FÜR DAS DRITTE JAHRTAUSEND?

Auf diese Frage antworten die Herausgeber mit einem besonderen Clou: Sie haben zeitgenössische wilde Denker und Wissenschaftler aus aller Welt, die »Diderots von heute«, gebeten, für Die Welt der Encyclopédie zu ausgewählten Stichwörtern neue Essays zu verfassen. Aleida und Jan Assmann, Hans Belting, Erwin Chargaff, Margriet de Moor, Lars Gustafsson, Alexander Kluge, Jutta Limbach, Michael Krüger, Javier Marias, Tzvetan Todorov, Anton Zeilinger und viele andere diskutieren die Hoffnungen und Utopien der Enzyklopädisten und wagen einen Ausblick ins 21. Jahrhundert.

250 Artikel aus der Encyclopédie sind neu übersetzt, vorhandene Texte durchgesehen und revidiert worden. Eingeleitet wird der Band durch einen Essay von Robert Darnton, der die heroische Editionsgeschichte des Werkes nachzeichnet; eine Zeittafel und ein Literaturverzeichnis ergänzen die Edition.



Michel de Montaigne: Essais
Übersetzung von Hans Stilett

Eichborn September 1998, 574 S.

»Montaigne lesen heißt leben lernen«

Die letzte vollständige deutsche Übersetzung dieses Meisterwerks ist vor sage und schreibe zweihundert Jahren, nämlich 1793 bis 1799, in Berlin erschienen. Damit steht Deutschland einzig da; denn in England und Amerika, in Italien und Spanien gibt es längst zuverlässige moderne Ausgaben dieses Klassikers.

Da übersetzt ein Mensch über zehn Jahre seines Lebens Montaigne, vergleicht über zwanzig andere Übersetzungen Satz für Satz mit der seinen, um keine Anspielung, kein Wortspiel und keine verborgene Bedeutung zu übersehen - und das fertige Buch kommt als prächtig ausgestattete 'Bibel für Skeptiker' daher, im Großformat, zweifarbig gedruckt, in blauem Leinen und mit Goldprägung. Montaigne wäre vermutlich der erste gewesen, der darüber gelächelt hätte. Aber andererseits auch der letzte gewesen, der sich dadurch nicht geschmeichelt gefühlt hätte. Mit Interesse, so ist anzunehmen, hätte er in dem Buch geblättert, es geprüft, geschmunzelt, genickt und wohl auch hier und da erstaunt den Kopf geschüttelt - und sich danach in den berühmten Turm auf seinem Landgut im Bordelais zurückgezogen und einen seiner verschmitzt-bescheidenen Essais über den Ruhm verfaßt; oder einen über die Vergänglichkeit.

Was Montaigne so einmalig und so interessant macht, ist sein weltoffener Geist. Er war im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen ein selbständiger Denker, der die Welt der Ideen liebte, aber gleichzeitig ebenso sehr die Welt selbst, über die er nachdachte.

Grundstein für die Entwicklung seines ganz und gar einzigartigen Charakters war sicherlich seine ungewöhnliche Erziehung, von der er freimütig in seinen vielleicht berühmtesten Essais berichtet. Die ersten fünf Jahre seines Lebens wurde er von einem lateinisch sprechenden Erzieher betreut, so blieb es ihm erspart, das Lateinische erst mühselig lernen zu müssen. Auch wenn er später fast ausschließlich französisch sprach, fiel er in Momenten außergewöhnlicher Überraschung oder Anspannung unwillkürlich ins Lateinische. Montaigne wurde als Kind nicht geschlagen - er selbst tritt als einer der ersten Anwälte der antiautoritären Erziehung auf.

Die Reihe von Montaignes Bewunderern erstreckt sich von Shakespeare über Diderot, Goethe und Nietzsche bis zu unseren Zeitgenossen - dem Geist Montaignes käme es aber auf jeden Fall am nächsten, ihn nicht nur zu bewundern und zu lesen, sondern fortzuschreiben und vor allem - fortzuleben. Nietzsche sagte: "... daß ein solcher Mensch wie Montaigne geschrieben hat, dadurch ist die Lust, auf dieser Erde zu leben, vermehrt worden." Halten wir sie lebenswert und lesen wir Montaigne.

»Jeder Übersetzer«, schreibt Hans Stilett »steht vor der Frage: Will ich den Autor zum Leser oder den Leser zum Autor führen? Ich gebe letzterem den Vorrang. Um dem Leser einen unbefangenen Zugang zu dem Text zu ermöglichen, habe ich die Essais von A bis Z unglossiert übersetzt: sozusagen als Montaigne pur. Was zu seinem Werk angemerkt werden kann (oder Wesentliches angemerkt worden ist), bleibt einem Kommentarband vorbehalten, der in etwa zwei Jahren erscheinen soll.«

Hans Stilett hat über zehn Jahre an der Übersetzung von Montaignes Essais gearbeitet. Der 1922 geborene Autor war jahrzehntelang als Übersetzer und Fremdsprachen-Redakteur beschäftigt. Nach Ende seiner hauptberuflichen Tätigkeit begann er, an der Universität in Bonn Vergleichende Literaturwissenschaft, Germanistik und Philosophie zu studieren. 1989 schloß er seine Promotion über Montaigne ab, in deren Zuge er schon mit der Übersetzung einzelner Passagen begann. Zunächst ohne einen Verlag kontaktiert zu haben, arbeitete er seitdem kontinuierlich an dem Großwerk fort. Hans Stilett lebt als freier Journalist, Schriftsteller und Übersetzer in Königswinter.


© Ralf 2009