Gerbrand Bakker: Der Umweg

Suhrkamp, 2012, 229 S.
(OT De omweg, 2010)
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke

Ample make this bed.
Make this bed with awe;
In it wait till judgment break
Excellent and fair.

Be its mattress straight,
Be its pillow round;
Let no sunrise' yellow noise
Interrupt this ground.
                  Emily Dickinson

Dieses Gedicht leitet das Buch ein, Emily Dickinsons Werk ist das Arbeitsfeld der Litertur­wissenschaftlerin Agnes, der Hauptperson dieses Romans. Agnes ist aus ihrer Welt in den Niederlanden geflüchtet und hat sich in England, an der Küste von Wales, ein kleines Haus, etwas abgelegen in der Natur, gemietet. Ihren wirklichen Namen erfährt man erst am Ende, im Buch nennt sie sich Emily. Sie möchte weder erkannt werden, noch soll jemand wissen wo sie ist - niemand erfährt konkret ihre Beweggründe, ihre Absichten, sie will für sich sein. Doch als Leser ahnt man bald, daß etwas geschehen sein muß, etwas zutiefst verstörendes in ihrem Leben, was zu ihrem Rückzug vor der Welt geführt hat. Man ahnt, daß es etwas mit ihrer Gesundheit zu tun haben muß, etwas lebensbedrohliches und ich denke, zusammen mit dem Gedicht, wird hier nicht zuviel verraten wenn man sagt, daß sie unheilbar krank ist, sich mit dem Tod auseinandersetzen muß. Hinweise gibt es einige, sie leidet immer wieder an Schwächeanfällen und nimmt ständig Schmerzmittel, manchmal sucht sie Linderung, Auflösung der Spannung in ihrem Körper durch ein Bad.

Die Stimmung deutet sich auf vielen Ebenen an. So beginnt der Roman im November und dauert auch nur bis zum Jahreswechsel, eine Zeit, in der das Wachstum aufgehört und sich die Natur absolut in sich zurückgezogen hat. Die Gänse, bei ihrem Einzug waren es zehn, werden immer weniger, da sich ein Fuchs immer wieder mal eine holt, am Ende bleiben noch vier übrig. Der Vermieter kündigt an, zu Weihnachten ein Schaf, ein geschlachtetes natürlich, vorbeibringen zu wollen. Es handelt sich um ein abgeschiedenes Haus, etwas unzugänglich in der Natur gelegen, die ehemalige Besitzerin ist verstorben und Emily versucht sich um die Gänse zu kümmern, um den Garten und immer wieder unternimmt sie Erkundungen in die Natur, die Umgebung oder für das Nötigste Abstecher ins nächste Dorf. Und sie setzt sich immer wieder mit Emily Dickinson auseinander, liebt und haßt sie, auch eine Frau, die sich in ihrem Haus vor der Welt zurückgezogen hat. Agnes macht immer wieder Ansätze, ihre Verse zu übersetzten. Der Roman wird übrigens nicht nur von ›Ample make this Bed‹ eingeleitet, sondern auch von der fertigen Übersetzung dann abgeschlossen.

Im Buch gibt es als Handlungsfiguren neben Agnes kaum weiters Personal. Es ist ein Roman über eine Frau, die ganz mit sich selbst ist, allein, um ihr Problem zu lösen. Bakker deutet in seiner Erzählung auch vieles nur an, sei es die Krankheit oder ihre Vergangenheit. Ab der Hälfte des Buches taucht dann ein junger Mann auf, Bradwen, auch von ihm erfährt man nicht sehr viel, aber es ist jemand, der sich irgendwie kümmert, kocht, und doch lassen sich die beiden gegenseitig in Ruhe.

Gerbrand Bakker erzählt sehr subtil, in Andeutungen und Stille, er erzählt nicht plakativ sondern das Buch strahlt viel Ruhe aus, lebt von Stimmungen, man erfährt vom Wetter, von den Tieren. Das Leben auf dem Land, die Tiefe und der Rückzug stehen im Zentrum, nicht das "Flüchtige", Agnes bisheriges Leben in der Großstadt Amsterdam, ihre Arbeit an der Universität oder ihre Beziehung. Ganz langsam merkt man, daß die Flucht nicht eine vor einer Beziehung oder der Arbeit ist, sondern daß das Buch vom Sterben erzählt, vom Tod.

Es gibt daneben auch andere Erzählstränge, ihre Familie, die Uni oder ihren Mann, der sich auf die Suche nach ihr macht. Spätestens bei einem Telefongespäch von ihm mit seinen Schwiegereltern wird auch dem Leser klar, daß sie weder bei ihm, noch bei ihren Eltern auch nur annähernd Hilfe oder Unterstützung hätte finden können. Es ist absolut kein Verstehen gegenüber Agnes erkennbar, alles nur Fassade, ich möchte fast sagen Ignoranz, aber sicher kein Verständnis oder gar wirkliche Liebe. Ich fand das Gespräch erschreckend und es ist nun klar, daß Agnes in ihrem alten Leben keinen Rückhalt hätte finden können. Der Tod steht bevor.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir das Buch, ich kann es sehr empfehlen. Es war Anlaß, auch mal wieder in den Gedichten von Emily Dickinson zu lesen und hat sehr viel Interesse dafür geweckt. Und es macht auch traurig, dann am Ende des Buches die fertigen Verse zu lesen, mit deren Übersetzung Agnes immer wieder gekämpft hat.


Üppig mach dies Bett.
Scheu und ehrfurchtsvoll;
Warte dort auf das Gericht
Feierlich und hell.

Die Matratze glatt
Und das Kissen rund;
Keiner Frühe gelber Lärm
Störe diesen Grund.
         Emily Dickinson

Auch wenn es ganz weit weg ist und mit dem Buch sonst nichts zu tun hat, außer daß Emily Dickinson und dieses Gedicht drin vorkommt, möchte ich doch den folgenden Film erwähnen. Ich habe ihn 1982/83 gesehen und er hatte mich sehr berührt: Sophie's Choice (Sophies Entscheidung), hier die entspechende Szene auf youtube.


© Ralf 2012