Alan Bennett: Die souveräne Leserin

Wagenbach SALTO 155, 2008, 115 S.
(OT The Uncommon Reader 2007)
Aus dem Englischen von Ingo Herzke

»Ein leichter, amüsanter Lesespaß für Literaturfreunde, ideal zum Verschenken«

»Die Hunde waren schuld« so liest man schon auf der zeiten Seite. Überlicherweise laufen die Hunde der Queen nach einem Gartenausflug direkt in den Palast, diesmal jedoch nahmen sie einen ganz anderen Weg und bellten einen Bus an. Es war der Bücherbus, der jeden Mittwoch am Buckingham Palace hielt und auf Leser wartete. Höflichkeit und Pflichtbewußtsein der Queen führen dazu, daß sie einsteigt und sich ein (irgendein) erstes Buch ausleiht. Und wenn sie es nun eben hatte, dann mußte es auch gelesen werden. Eins kommt zum anderen und sie wird zum regelmäßigen Besucher dieses Bücherbusses. Die Queen wurde also, zunächst noch nicht ganz überzeugt, später aber umso leidenschaftlicher zu einer Leserin.

In Norman, einem Küchenjungen, findet sie im Bus auch gleich den richtigen Gesprächspartner, der sie bei den ersten zaghaften Versuchen berät und mit dem sie später auch gerne diskutiert - schließlich ist es nicht einfach, einen Leser und Literaturliebhaber zu finden. Er wird also zum Pagen gemacht, um für die Queen ausschließlich für Bücher, deren Auswahl und Beschaffung zuständig zu sein.

Durch die Lektürer vieler verschiedener Bücher lernt sie den Menschen auf ganz neue Art kennen, was sie bewegt, ihre Gefühle, Probleme und Sehnsüchte. »Sie entdeckte außerdem, wie ein Buch zum nächsten führte, wie sich immer mehr Türen öffneten, wo sie sich auch hinwandte, und dass die Tage für alles, was sie lesen wollte, nicht ausreichten.« Immer wieder gibt es auch humorvolle und witzige Szenen, z.B. wie man wohl lästiges Pflichtprogramm sinnvoll nutzt: »Ihr graute vor den zwei Stunden, die das Prozedere in Anspruch nahm, auch wenn sie glücklicherweise in der Karosse fuhren und nicht im offenen Wagen, sodass sie ihr Buch mitnehmen konnte. Das gleichzeitige Lesen und Winken beherrschte sie inzwischen recht gut, es kam nur darauf an, das Buch unterhalb der Fensterkante zu halten und sich auf die Buchstaben zu konzentrieren, nicht auf die Menschenmenge.«

Das Lesen bildet sie nicht nur, es verändert sie auch. Dem Hofstaat gefiel das gar nicht, da die gängige Routinen durcheinander kamen, Empfänge bekamen eine andere Qualität und wurden mitunter peinlich, wenn Besucher oder Staatsgäste nach Autoren oder Büchern befragt wurden. So kommt es durchaus zu Intrigen und doch ist die Queen nicht mehr vom Lesen abzubringen - sie wächst mit den Büchern.

Diese Veränderungen werden schön geschildert, viele Autoren kennt man und hat sie selbst gelesen. Diese Entwicklung und die Bedeutung der Literatur schildert Bennett auf vergnügliche Art und Weise. Die besondere Rolle der Queen spielt ebenso eine Rolle wie ihre gelegentlich spröde Art, die dann auch wieder von den Büchern verändert wird. Wie sehr die Lesekompetenz dann wachsen kann, macht Spaß zu beobachten, sodaß ich mal sagen würde: ein wunderbares Geschenk an Buch- und Literaturliebhaber, aber auch um zu zeigen, wie schön und bereichernd Lesen sein kann.
Außerdem: das wunderschöne rote Leinenbändchen aus Wagenbachs SALTO-Reihe ist allein schon ein Genuß.

© Ralf 2008