S. Corinna Bille: Dunkle Wälder

Rotpunktverlag 2012, 158 S.
(OT Forêts obscures, 1989)
Aus dem Französischen von Hilde Fieguth und einem Nachwort von Maurice Chappaz
ISBN 978-3-85869-471-3

Am 29. August 2012 wäre Corinna Bille 100 Jahre alt geworden. Sie ist die bedeutendste Schriftstellerin der Romandie, also der Westschweiz. Zu diesem Anlaß erscheinen nun wieder einige Werke von ihr im Rotpunktverlag, darunter »Dunkle Wälder«. Auch der Verlag Nagel & Kimche veröffentlicht Erzählungen neu und so war es auch für mich Anlaß, etwas von Corinna Bille zu lesen. In ihrem Werk tauchen immer wieder Wälder, die Berge oder einsame Dörfer auf, das Foto nebenan zeigt ihr Chalet im Wallis, Les Vernys im Réchytal, in einer einsamen, wilden Gegend. Hier spielt auch der Roman »Dunkle Wälder«. Sie verbrachte eine freie und ungezwungen Kindheit in den Walliser Bergen, mußte dann leider in eine Klosterschule und es begann eine Zeit, in der sie mit der dort dominierenden konservativen und katholischen Welt kämpfen mußte, so daß sie ihr Leben lang auch immer wieder dagegen angeschrieben hat.

In dem Buch nun geschieht nicht allzu viel, überwiegend beschreibt es den Sommer einer Frau in und um ihr Chalet. Blanca und ihr Mann haben sich solch ein abgelegenes Chalet zu gelegt, tief in der Natur. Dazu gehört auch viel Land, Wälder, Wiesen und dazugehörige Maiensäße, die zu der Zeit auch teilweise bewohnt sind, trotzdem immer noch vom Chalet weit entfernt. Sie wird dort überwiegend alleine die Zeit im Sommer verbringen, ihr Mann besucht sie allerdings zeitweise, manchmal auch mit den Kindern.

Blanca genießt die Natur über alles, Spaziergänge satt über Wiesen oder in die Wälder. Als weitere Hauptfigur tritt Guérin auf, als Mensch das Gegenteil von ihr oder ihrem Mann, manchmal Herumtreiber, der am liebsten unter Bäumen schläft, manchmal vielleicht etwas schwer von Begriff. Sie nennt ihn den »Einfältigen« und, da er manchmal ganz unvermittelt aus der Natur in ihre Einsamkeit eintritt, geht von ihm immer wieder auch eine Bedrohung für sie aus.

Das Buch beginnt mit Pressebrichten über den Mord an Blanca und den Tatverdächtigen. Man weiß also, daß sie im Oktober sterben wird, aber bis zum Ende hört man davon nichts mehr, außer manchmal geäußerten Ängsten, z.B. wenn Guérin plötzlich auftaucht, von dem sie aber auch irgendwie fasziniert ist. Es wird wiederholt berichtet, wie sie des Nachts auch die Läden des Hauses schließt, auf jeden Fall die des Schlafzimmers und dann schimmert auch nicht nur die Faszination der Natur durch, der Wälder, sondern auch das Dunkle des Waldes, subtil lauert immer auch Gefahr. Während des Lesens wartet man immer auf mögliche Hinweise auf das schlimme Ereignis, stattdessen liest man vom Glück Blancas.

Blanca hat eine herrliche Zeit in diesem Sommer, sie kochte nicht mehr, ernährt sich ganz einfach von Brot, Butter, Käse, Tee, »Schließlich aß sie kaum mehr etwas und schlief sehr wenig, so sehr ersetzte ihr das Glück Nahrung und Schlaf«. Sie fühlt sich an ihre unbeschwerte Kindheit in den Waliser Bergen erinnert.

Corinna Bille erzählt immer wieder von den Naturbeobachtungen, die Blanca macht »Leuchtkäfer und winzige safrangelbe Schmetterlinge flogen herum. Sie kannte den Zitronenfalter, den Admiral, den Waldteufel...« oder »Zuerst violette hohe Wegdisteln und Scharfgarbe, dann Felsennelken, blauen Natternkopf und viele Hecken­rosen­sträucher. Ach, welch eine Freude«. Sie ist ungeheuer neugierig, will die Landschaft um sich herum immer wieder neu entdecken, fast mit kindlicher Freude, und ist auch immer wieder von den Wäldern angezogen, in die es sie hineinzieht. Aber es ist auch immer wieder von Abgründen die Rede, wir sind im Wallis in den Bergen.

Nicht nur durch die Beobachtungen in der Natur, sondern auch durch die Schilderung der Gerüche, der Farben, der Stimmung des Alleinseins und trotzdem Aufgehobenseins, wie es eben nur in der Natur möglich ist, entfaltet sich auch eine Sinnlichkeit, die sich durch das ganze Buch zieht. Klar, im Gegensatz zum Leben in der Stadt sind in den Bergen Augen, Nase oder Ohr ständig angeregt. Selbst über die Haut nimmt man die Welt wahr, ob die Wärme der Sonne, die Kälte, das Nieseln usw. Ich denke, Leser, die sich an eigene ähnlich direkte Erfahrungen erinnern können, nehmen hier auch eine Körperlichkeit war, die glücklich machen kann.

Vielleicht sollte man solche Naturerfahrungen tatsächlich kennen, sich erinnern, sie lieben, um auch das Buch zu mögen. Und man muß die Sprache akzeptieren können: das Buch wurde in den 60 Jahren begonnen, gerade auch die Rede über die Gefühle Blancas, wie schön doch alles sei, darf man nicht ablehnen. Ich habe das Buch als Ausgleich gewählt, da ich direkt davor ein Buch gelesen hatte über Faschismus, Grausamkeit und Gewalt. Bücher, in denen kaum etwas passiert, die ruhig sind, in denen die Natur das Zentrum des Geschehens darstellt und Beschreibungen enthalten, können zum Balsam für die Seele werden. Außerdem kann man das dünne Buch problemlos in einem Zug durchlesen, es ist ein schöner Ausflug...


© Ralf 2012