Timothée de Fombelle: Tobie Lolness Bd. 1 - Ein Leben in der Schwebe

Gerstenberg Verlag 2008, 378 S.
(OT Tobie Lolness - La vie suspendue, 2006)
Aus dem Französischen von Tobias Scheffel und Sabine Grebing

Tobie Lolness ist 13 Jahre alt und nur eineinhalb Millimeter groß. Die von de Fombelles beschriebene Gesellschaft lebt auf einer alten Eiche, die für sie das Universum bedeutet. Es gibt alles, Häuser, Erwerbsleben, Käfer sind große Arbeitstiere, Läuse, Raupen, alles hat seine Funktion und die Baumgesellschaft lebt glücklich mit der Natur. Tobies Vater ist ein berühmter Gelehrter und Wissenschaftler, auf der Suche nach den Rätseln des Lebens. Wächst der Baum oder verändert er sich? Ist er ewig? Gibt es Leben außerhalb des Baumes? Wichtige Fragen, denen aber viele in einer unaufgeklärten kleinbürgerlichen Gesellschaft nicht folgen können. Eines Tages macht er eine wichtige Entdeckung, doch deren Hintergrund möchte er der Gesellschaft nicht mitteilen, da er Angst vor Mißbrauch hat, er fürchtet um das Leben des Baumes, ihres Lebensraums.

Das Leben dieser Baummenschen ist nicht von äußeren Mächten bedroht, sondern von innen. Jo Mitch wird immer mächtiger, reicher und verbreitet zunehmend Angst und Schrecken. Die Gesellschaft verändert sich, man duckt sich, die Lebensfreude schwindet im selben Tempo, wie die Umwelt zerstört wird und Jo Mitch alles unter seine Kontrolle bekommt. Mit der Erfindung von Tobies Vater könnte er noch reicher und mächtiger werden, daß dies jedoch das Leben des Baumes - ihres eigenen Lebensraumes - kosten würde, will niemand erkennen, die Gier ist stärker. Da das Geheimnis nicht preisgegeben wird, wird die Familie Lolness von den Höhen des Baumes verstoßen, vertrieben und müssen fortan in den niederen Regionen leben, wo es naß und kalt ist.

Das Buch erzählt in Rückblenden vom schönen Leben in den Höhen des Baumes, wie die Familie dann ins Exil geschickt wird, von der zunehmenden Macht eines brutalen Tyrannen, der auch vor Mord nicht zurückschreckt, von Flucht und Verfolgung. Es ist zwar eine uns fremde Welt, doch kennen wir alles. Es geht um die Ausbeutung der Natur, dem schonunglosen Umgang mit Ressourcen, blinder Zerstörung, Macht, Gier, Rassismus und der Angst vor Fremden. In der Not zeigt sich, wer intrigant ist, opportunistisch, wer Zivilcourage aufbringt, wer Freund und Feind ist. Gut und böse sind zwar klar getrennt, doch auch hier täuscht man sich manchmal, aus einem Freund kann manchmal auch ein Verräter werden, so klar ist es denn doch nicht.

Tobie lernt auch eine völlig neue Gesellschaft kennen: es gibt nicht nur Leben auf dem Baum, sondern auch auf der Erde darunter. In der ihm bekannten Welt als Bedrohung stigmatisiert, das Fremde, das man ablehnt und meidet, findet er plötzlich einen völlig neuen Lebensraum, eine andere Welt mit anderen Regeln, Bedrohungen und Gesetzmäßigkeiten.

Das Buch berichtet also nicht nur von Schrecken, sondern bietet natürlich auch einen Gegenentwurf, alternative Ideologien. Es geht um Freundschaft, Verantwortung für die Nächsten und die Natur, um Offenheit, Fähigkeit zur Veränderung und natürlich um Liebe. Mich hat es wegen dem Naturbezug gereizt, eine witzige Idee, die liebevoll umgesetzt ist und viele Charaktere bietet. Es werden alternative Gesellschaftskonzepte geliefert, so daß nicht nur die Probleme der Welt sichtbar werden, sondern auch Auswege.

Es ist natürlich ganz klar ein Buch für Kinder bzw. Jugendliche, spannungsreich und mit Tempo erzählt, immer wieder gibt es unerwartete Wendungen, so daß man das Buch mit Freude bis zum Ende liest. Im Herbst wird dann der zweite Band erscheinen, ich bin gespannt, wie die Geschichte dann weitergeht...

© Ralf 2008