Arche 2012, 190 S.
(OT Op Zee, 2011)
Aus dem Niederländischen von Ilja Braun und Illustrationen von Jenna Arts
Schon auf der ersten Seite viele Sätze, die ein »muss« enthalten: »Es muss Morgen werden. Es muss heller werden. ...Ich muss auf die Karte schauen. Ich muss auch etwas trinken.«
Irgendwas stimmt hier nicht, doch es fällt mir erst jetzt auf, nachdem ich das Buch gelesen habe. Man liest schnell weiter, was nicht stimmen könnte, klärt sich jedoch erst sehr spät.
Auch die dem Roman vorgestellten Zeilen verstehe ich erst nach der Lektüre: »Er war der Architekt seines eigenen Niedergangs. Er wollte etwas tun, was katastrophal schiefging.« Dies sagt der Sohn von Donald Crowhurst, der 1968 an einem Segelwettbewerb teilnahm, ein von Schulden geplagter Unternehmer, der sich mit dem Preisgeld sanieren wollte, aber im Laufe der Zeit »dem Wahn verfiel«.
Doch von vorne. Der gleichnamige Donald des Buches hat 15 Jahre seinen Job im Büro erledigt, zur Zufriedenheit aller, aber mehr auch nicht, ohne sonderliche Perspektive oder Pläne, sehr angepaßt. So kommt es ihm recht, ein Sabbatical zu nehmen, eine Auszeit, um seinen Traum zu erfüllen, einfach mal raus und weg zu einem dreimonatigen Segeltörn. Die letzten beiden Tage, die ihn von Dänemark zurück in die Niederlande bringen sollen, sind für ihn gleichzeitig die Krönung seiner Auszeit. Mit seiner Frau hatte er abgesprochen, daß ihn dieses letzte Stück seine siebenjährige Tochter Maria begleiten würde. Nur Vater und Tochter, die stolz auf ihn sein würde.
Mit diesen beiden Tagen, der kurzen Segeltour, die eine intensive Zeit mit der Tochter werden sollte, beginnt das Buch, die Vorgeschichte dazu wird in Rückblicken erzählt. Vom Job und dem Büroalltag, von seiner Ehe, seiner Tochter und dem Verlauf der Reise. Ein Mann, ein Boot, das Wetter, das Meer, vom Segeln und seiner Tochter. Der erste Tag beginnt aussichtsreich, idyllisch. Das Wetter ist gut, er versteht sich bestens mit seiner Tochter, sie reden, sie schweigen. Er ist stolz auf sie, auf sich. Doch in der Nacht wird das Wetter schlechter. Er will nach ihr sehen, ob sie gut schläft:
»Das Boot bewegt sich, wälzt sich von links nach rechts. Ich will Maria nur kurz berühren, um sie zu beruhigen. In der dunklen Koje taste ich mit der rechten Hand unter die Decke, finde aber nichts. Das ist sonderbar. Kurz muss ich mich abstützen, weil das Boot so schwankt. Ich schwitze. Dann versuche ich es ncoh einmal. Ich mähe mit dem Arm unter der Decke hindurch, ziehe die Decke aus der Koje heraus, klettere auf die Matratze. Nichts. Sie ist nicht da. Maria ist verschwunden. Und ihr Eisbär auch.«
Er durchsucht das ganze Boot - nichts. Was jetzt? Es gibt nichts Schlimmeres, was einem Vater passieren könnte. Allein, abgeschnitten von der Welt, auf dem Meer, wo die Tochter, das Ertrinken nicht fern. Die Panik auch nicht. Toine Heijmans schildert nun die Überlegungen, die Aktionen, die der 40jährige Vater anstellt.
Was Donald als eine gute Entscheidung ansah, als fantastischen Törn über eine fantastische Nordsee, wird zu einem lebensbedrohlichen Abenteuer, für die Tochter, am Ende auch für ihn selbst.
Es gibt beim Wiederlesen so viele Hinweise auf die Selbstüberschätzung von Donald, seine Großspurigkeit, daß es geradezu weh tut. Er macht alles richtig, meint er, kann alles, könnte Chef sein und Verantwortung tragen, aber die anderen sehen es nur nicht. Und was er plant ist großartig, ganz so, wie er es sich vorstellt.
Was er doch für ein großartiger Vater sei, »ich fühlte mich stark und überlegen... Ich würde ein echter Vater sein. Ich würde Maria zeigen, was ich draufhatte, sie mit Stolz erfüllen«. So schon unerträglich, vor allem wenn man noch das Ende kennt.
Ich lese solche Sätze nicht nur als Wahn, sondern es gibt eben Menschen, die mit solchen Haltungen durchs Leben gehen - unangenehm.
Es macht auch nichts, einem Leser das Verschwinden Marias auf See zu verraten, denn das wird noch getoppt - doch wodurch werd ich hier natürlich nicht erzählen. Das Buch scheint zu Beginn eine kleine, etwas unscheinbare Geschichte zu erzählen, doch wenn ich nun darüber nachdenke, kommen die Emotionen, ausgelöst durch das Ende auf den letzten Seiten. Da wird auch ganz klar, warum der Titel des Buches »Irrfahrt« lautet, treffend gewählt, gefällt mir fast besser als der niederländische Titel »Op zee«.
Die ersten Bootsbeschreibungen des Beginns kontrastieren prächtig mit den letzten: »Das Boot sieht prächtig aus. Ein aufgeräumtes Deck. Stolze Segel« am Anfang, dann auf den letzten Seiten sind aus den Segeln Fetzen geworden, die wie zerissene Laken im Wind flattern; das Boot sieht aus, als hätte man es mit der Kettensäge bearbeitet, ein Kunstwerk von Schrammen, ein verwundetes Boot.
Da wird klar, wie sehr man Illusionen erlag, welchen Illusionen oder Täuschungen auch dieser Mann unterlag, wie er aber auch seine Umwelt getäuscht hat das ist noch harmlos formuliert. Und das ärgert mich mehr, als daß er sich selbst getäuscht hat, seinem "Wahn" erlegen ist. Es erinnert mich zu sehr an Männer, die groß tun, sich selbst überschätzen, die Selbstdarsteller, dabei aber unfähig sind. Man entschuldige, daß ich das Buch hier verlassen habe und persönlich wurde, aber das ist ja gerade das Schöne bei Büchern, daß sie auch mal ein Gefühl auslösen und Ansichten befördern.
Ein dünnes Buch also, das man gerne zwischendurch lesen kann, eine schöne Sommerlektüre...