Kazuo Ishiguro: Alles was wir geben mussten

Blessing 2005, 350 S.
(OT Never Let Me Go)
Aus dem Englischen von Barbara Schaden

Kathy ist 31 Jahre alt und arbeitet als Betreuerin. Wann immer sie durch England fährt und hinter Pappeln ein halb verborgenes Herrenhaus erspäht, wandern ihre Gedanken zurück nach Hailsham, zu jenem sonderbaren Schulheim, in dem sie ihre Kindheit verbrachte. Unwillkürlich steigen dann Erinnerungen an Tommy in ihr auf, der sich mit trotzigen Wutanfällen gegen die Ausgrenzung durch die Mitschüler wehrte, denen er nicht kreativ genug war. Seine geheimsten Ängste und Wünsche vertraute Tommy ihr, Kathy, an, aber eine Liebesbeziehung ging er mit ihrer besten Freundin ein, mit Ruth. Sie alle wurden damals gut behütet in Hailsham, aber auch vollständig von der Außenwelt abgeschirmt. Die Aufseher erzählten den Kindern, dass sie später "spenden" und "betreuen" würden, aber was sich hinter diesen Begriffen verbarg, verriet ihnen niemand...

In der Form einer klassischen Internatsgeschichte erzählt Kazuo Ishiguro von Menschen, die um die Unbeschwertheit ihrer Kindheit betrogen wurden. Feinfühlig zeichnet er die Seelenlandschaften von Kindern und Jugendlichen, die auf ihre Fremdbestimmtheit reagieren, indem sie im Kleinen aufbegehren und sich im Großen fügen. Er wirft bohrende Fragen nach der Moral in unserer Zeit auf und fesselt die Leser durch die Tragik unheimlicher, aber realistischer Geschehnisse, für die es scheinbar keine Verantwortlichen gibt.

Eine Schilderung einer Kindheit, aber einer Merkwürdigen. Man fragt sich lange, wie diese "Aufbewahrungsanstalt" möglich ist, vor allem warum? Und trotzdem die fürsorgliche Erziehung. Es läuft auf die Frage hinaus: was ist ein Mensch? In seiner Konsequenz und nüchternen unparteiischen Schilderung ein sehr trauriger, aber sehr schöner und stiller Roman.

© Ralf 2006