Jonathan Littell: Die Wohlgesinnten

Berlin Verlag 2008, 1383 S.
(OT Les Bienveillantes, 2006)
Aus dem Französischen von Hainer Kober

Es wurde ungeheuer viel diskutiert, u.a. im Readingroom der FAZ, daneben gibt es noch die Verlagsseite mit vielen Informationen, z.B. viele Schaubilder, in denen Strukturen und Hierarchien erläutert werden, das lohnt auf jeden Fall.

Zwischenbericht vor Ende des Buches:

Ich hatte ja schon vor längerer Zeit mal gesagt, einen Zwischenbericht zu geben. Nun bin ich fast durch und es wird Zeit, dies nachzuholen, abschließend werde ich dann nochmal richtig berichten...

Nachdem ich die ersten paar hundert Seiten gelesen hatte, hatte ich folgende Gedanken notiert:

"Nie habe ich solches gelesen, es ist das grausamste und widerlichste, was mir bisher untergekommen ist. Lest es nicht, zumindest gilt dies für zartbesaitete Gemüter. "

Doch diese Stellen empfand ich so vor allem etwa im ersten Viertel des Buches, da hätt ich noch vom Lesen abgeraten, weil Gewalt stark dominiert, das ist nun zum Ende des Buches hin anders.

Worum es in dem Buch geht, darauf möchte ich sooo ausführlich gar nicht eingehen, denn das ist nicht, was mich hier interessiert.
Max Aue, SS-Offizier, hat selten die Waffe in der Hand, meist ist er Beobachter: er arbeitet für den SD, hat Informationen zu beschaffen, spricht mit Lagerkommandanten oder Offizieren, beobachtet/analysiert die Systematik der SS usw um dann Himmler zu berichten. Dadurch erhält man als Leser viel Einblick in Hierarchien, die Bürokratie, das System.

Sonst liest man Bücher aus jener Zeit anders, hier alles aus der Sicht des SS-Offiziers, die SS hat ihre eigenen Ziele, nie habe ich so sehr unterschieden zwischen SS und Wehrmacht, auch wenn diese im Buch keine so große Rolle spielt. Aue arbeitet zunächst im Kaukasus hinter der Front, auf der Krim, später wird er nach Stalingrad geschickt und in der letzten Phase ist er in Berlin. So wenig zum Inhalt.

"Pronografisch, kitschig und monströs findet es die SZ, plastikhaft obszön die FR, öde und floskelhaft die Zeit", so faßt es der Perlentaucher zusammen - und richtig, dem kann man nur zustimmen, monströs ist ein sehr gutes Wort für das Buch. Nie habe ich solches gelesen, es beschäftigt, man hat das Gefühl, erst jetzt zu wissen, was die SS und ihresgleichen damals verbrochen haben, auch wenn man vorher schon viel darüber gelesen hat. Und deshalb denke ich auch, daß das Buch nötig war, einmal alles ganz anders darzustellen. Ich hab noch nicht nachgelesen, warum viele Zeitungen das Buch ablehnen, erst will ich selbst zu Ende lesen, dann kommen Rezensionen. Bezieht sich die Kritik auf die Gewalt, frage ich mich gerade? Monströs, obszön, kitschig, floskelhaft - manchmal Geschwafel im Buch, ich dann das alles nicht abstreiten, aber das Buch wirkt eben nach, und deshalb bekommt das Buch von mir kein negatives Urteil. Gerade die Kälte, die Perversität mancher Gedanken oder Diskussionen, die Selbstverständlichkeit uvm sind unglaublich, auch wenn ich es eigentlich alles schon wußte, aber irgendwie "anders". Ich habe gerade erst einen Film gesehen, da trat eine SS-Figur auf. Früher hätte ich da nicht so viel gedacht, jetzt kommen sofort viele Assoziationen, ich spüre das nackte Grauen viel deutlicher als vor Littell.

Natürlich erfährt man auch viel über die Persönlichkeitsstruktur von Aue, das Verhältnis zu seiner Mutter, seiner Schwester. Er ist intelligent, gebildet, auch ein gestörter Charakter (was aber nichts erklären soll), heißt durchaus nicht alles gut, was er mitansehen muß. Er bleibt der Beobachter (selten schießender Mörder), der seine Aufgabe zu erfüllen sucht, trotzdem verquer in seiner Gedankenwelt, Ideologie. Und reagiert körperlich auf die Schrecken, Fieberanfälle, übergibt sich ständig und es kommt ihm alles oben und unten wieder raus. Immer mal wieder stolpert man über Stellen, wo Intervention möglich wäre, jetzt oder in seiner Kindheit, aber das bleiben verpaßte Chancen.
...ich hör jetzt mal auf zu schreiben.

Nach mittlerweile über 1000 Seiten habe ich das Gefühl, viele Bücher zum gleichen Thema hintereinander weg gelesen zu haben und werde tatsächlich des Buches etwas müde - es bleiben zum Glück nur noch wenige hundert Seiten. Da muß sich natürlich jeder selbst überlegen, ob er das durchhält, auch bei mir lag das Buch manchmal einige Tage.
Allerdings gibt es auch absolut begeisterte Leser: meine Buchhändlerin hat mir erzählt, daß sie im Urlaub dieses Buch in 3 Tagen verschlungen hatte, wären fast 500 Seiten pro Tag!
Ich möchte es also schon jetzt empfehlen, abschließend meld ich mich aber später nochmal. ..

Das waren jetzt nur mal einige wenigstrukturierte Gedanken - ich werde das dann überarbeiten, wenn ich mit dem Buch durch bin...

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© Ralf 2008