Per Petterson: Pferde stehlen

Hanser, 2006, 247 S.
(OT: Ut og stjæle hester, 2003)
Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger

Einige Zeit, nachdem seine Frau bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, zieht Trond, 67, weg aus Oslo, um in der Ruhe auf dem Land in Norwegen zu sich zu kommen und den Rest seiner Tage zu leben. Mit der Zeit wird er von den Dorfbewohnern akzeptiert, er macht Bekanntschaften und viele Spaziergänge mit seinem Hund durch die Natur. Auch an seinem Haus muß noch einiges gemacht werden, so daß er immer wieder bei handwerklichen Tätigkeiten an seine Kindheit, seinen Vater zurück denkt, mit dem er mit 15 den Sommer 1948 verbracht hat.

Eines Nachts begegnet der dem Nachbarn Lars, der ihm bekannt vorkommt: er erkennt ihn als den Bruder des Freundes, mit dem er damals vor 50 Jahren neben seinem Vater viel Zeit verbracht hat. Die beiden Männer gehen sehr vorsichtig miteinander um, bei Trond steigen immer wieder und heftiger die Kindheitserinnerungen hoch.

Für Trond war jener Sommer der letzte, den er mit seinem Vater verbracht hat. Das Kind hat gedacht, daß der Vater ihn in das norwegisch-schwedische Grenzland mitgenommen hat, um Zeit mit seinem Sohn verbringen zu können, tatsächlich jedoch zeigt sich, daß er Vater dort eine Liebesbeziehung zu einer Frau hatte, die er noch aus der Zeit des Widerstands gegen die Nazis und seiner Tätigkeit als Fluchhelfer kannte. Doch dies alles erfährt man ganz langsam, beim Pendeln zwischen Tronds Leben als älterer Mann und seinen Kindheitserinnerungen, die sich immer wieder einschieben.

Es ist ein sich langsam entwickelndes Buch, das einfach und gelassen erzählt, immer wieder Naturschilderungen, alltägliche Arbeiten, die aber nicht langatmig sind, sondern hervorragend Stimmungen schildern, es entstehen Bilder, die auch die Menschen sehr lebendig werden lassen. Der Wechsel von der Perspektive des alten Mannes, der sich zur Ruhe gesetzt hat zum kleinen Jungen ist immer stimmig. Die Reife und Seelenlage des Mannes tritt hervor, aber auch die Naivität und das Glück des Jungen mit seinem Vater und die Geheimnisse, die sich ihm langsam entschlüsseln, sind packend dargestellt und trotzdem fließt der Roman wie ein großer, ruhiger Fluß, an dem man es sich behaglich einrichtet. Es ist schwer in Worte zu fassen, was mich an dem Buch so begeistert hat, es ist von einer stillen Traurigkeit durchzogen, mit dem etwas distanzierten Erzählen blickt man immer neugierig und mit viel Sympathie auf die Figuren.

Das wundervolle Buch schildert eine Vater-Sohn-Beziehung, über das Altern, über das Erwachsenwerden und das Ende einer unschuldigen Kindheit, aber auch über Glück. Ich möchte es wärmstens empfehlen, weil man Anteil nimmt am Leben und den Gefühlen eines Mannes und es in seiner unspektakulären Schilderung eine sanfte, ruhige Atmosphäre hat, die Spannung aber bis zum Ende erhalten bleibt. Es gehört zu den besten Büchern, die ich in letzter Zeit gelesen habe.

23.04.2006

© Ralf 2006