Philip Roth: Empörung

Hanser 2009, 201 S.
(OT Indignation 2008)
Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz

Es geht in Philip Roths Roman »Empörung« diesmal nicht um »Alter«, wie in seinen beiden letzten Romanen »Jedermann« und »Exit Ghost«, sondern um den 19-jährigen Marcus Messner, Sohn eines koscheren Metzgers in Newark Anfang der 50er Jahre. Doch auch hier droht Tod, denn der historische Hintergrund des Buches ist der Koreakrieg, der zwar fern ist, trotzdem aber bedrohlich, denn Marcus hat die begründete Angst, in den Krieg eingezogen zu werden und auf den Schlachtfeldern zu sterben. Die einzige Möglichkeit, dem zu entkommen und zurückgestellt zu werden, ist die Ausbildung auf dem College. Als einziger Sohn, dazu hochintelligent und fleißig, ist er der Stolz seines Vaters, der alles dafür tun möchte, seinem Sohn als erstem der Familie höhere Bildung und Aufstieg zu ermöglichen. Begleitet wird dies allerdings auch von der ständigen Angst des Vaters, seinem einzigen, geliebten Sohn könne ein Unglück geschehen. Das entwickelt sich sogar zur verrückten Angst, zu Überbesorgtheit, ja sogar Überwachung.

Marcus, bisher immer der liebe, angepaßte Sohn, der auch ohne Murren zu Hause in der Metzgerei brav ausgeholfen hat, erträgt diesen väterlichen Einfluß nicht mehr und sucht sich ein anderes College, weit weg vom Zuhause und vom väterlichen Einfluß. Am neuen, sehr konservativen College in Winesburg in Ohio, versucht er zwar Musterschüler, aber unauffällig zu bleiben, tritt keiner Verbindung bei, zieht sich von allem zurück, aber gerade das schafft dann Probleme. Er bleibt eher Einzelgänger, wohnt am Ende gar abgelegen in einer schäbigen Kammer und legt sich schließlich mit dem Rektor an, weil er sich ungerecht behandelt fühlt. Daneben geht es in dem Buch natürlich auch um den Umgang mit Sexualität in den 50er Jahren. Marcus lernt die Studentin Olivia kennen, deren sexuelle Freizügigkeit, zumindest für damalige Verhältnisse, ihn zusätzlich verwirrt. Die drohende Kulisse des Koreakrieges, religiöse Bigotterie und verbogene Sexualmoral treffen im Buch aufeinander, so erfährt man in einer Schlüsselszene schon bald, daß der tote Marcus aus dem Jenseits erzählt:
Marcus und Olivia im geparkten Auto:
»Aber die Schnelligkeit, mit der sie mich hatte zu Werke schreiten lassen ... veranlaßte mich, ihre Hand zu nehmen und behutsam auf den Schritt meiner Hose zu legen. Und wieder traf ich auf keinen Widerstand. Es gab keinen Kampf.
Was dann geschah, gab mir noch wochenlang Rätsel auf. Und selbst als Toten, der ich bin, und zwar seit wer weiß wie lange schon, beschäftigt mich immer noch die Rekonstruktion der Sitten, die damals auf diesem Campus herrschten, und die Rekapitulation der nervösen Bemühungen, mich diesen Sitten zu entziehen, die jene Reihe von Mi8ßgeschicken herbeiführten, die zu meinem Tod im Alter von neunzehn Jahren führten.
«
Zu wissen, daß aus dem Fiebertraum bzw. unter starkem Morphiumeinfluß heraus erzählt wird, was erst auf den letzten Seiten klar wird, hat mir bei Lesen sehr geholfen.
Die beginnende "Liebesgeschichte" mit Olivia, hübsch, verführerisch und intelligent, aber psychisch nicht gesund und selbstmordgefährdet, wird für Marcus weitere Probleme bedeuten. Hier hätte es mich doch interessiert, welche Geschichte Olivia durchgemacht hat, doch das ist nicht Gegenstand des Buches und bleibt im Dunkel.

Marcus studiert in einem Land, das Freiheit zum höchsten Gut erklärt, sieht sich aber konfrontiert mit Vorurteilen, Engstirnigkeit und religiöser Blindheit, der sich unterzuordnen Pflicht ist. Das fordert natürlich in Marcus Empörung heraus, die sich immer wieder äußert, angefangen mit der Empörung des Sohnes gegenüber dem Vater bis zu den wunderbaren Konfrontationen und Diskussionen mit dem Rektor. Vor allem die Frömmelei, das Durchdringen des Lebens mit religiösem Fundamentalismus, die sozialen und religiösen Zwänge, die sich daraus ergeben sind nicht nur Thema der 50er Jahre, sondern heute aktueller denn je. Selbstständiges Denken, so sehr es erwünscht ist, wird da für Marcus zur Falle. Es ist bitter, daß die Strophen, mit denen er die religiösen Predigten zu überstehen versuchte - »Steht auf! Ihr, die ihrnicht Sklaven sein wollt.... Empörung füllt die Herzen unserer Landsleute. Steht auf! Steht auf! Steht auf!« - und den Nachdruck, den er auf Empörung legte, gerade diejenigen sind, die er auch auf dem Schlachtfeld hören mußte in den Minuten, bevor her selbst hingemetzelt wurde.

Es ist grausam und schmerzhaft, daß Marcus, der eigentlich "nur" studieren, seine Ruhe haben, nicht auffallen wollte, letztlich wegen einer Kleinigkeit vom College relegiert wurde. Seine Empörung am Ende über die Falschheit der Gesellschaft hat er teuer bezahlt.

© Ralf 2009