Dan Simmons: Terror

Heyne 2007, 990 S.
(OT The Terror, 2007)
Aus dem Amerikanischen von Friedrich Mader

Die Nordwestpassage ist der Seeweg, der nördlich von Amerika den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Es wurden viele Versuche unternommen, diesen Weg zu finden. Gleich vorneweg, gelungen ist die komplette Durchfahrt erstmals Roald Amundsen 1903/1906.

Der britische Polarforscher Sir John Franklin startete am 19. Mai 1845 im Auftrag der Royal Navy mit den Schiffen HMS Erebus und HMS Terror. Nach damaligem Wissen und Haltung waren die Schiffe bestens ausgestattet, sie waren gepanzert und wurden massiv verstärkt, um dem Druck des Eises standzuhalten, es gab eine Dampfheizung und man hatte eine 15 Tonnen schwere Dampflok eingebaut, um vom Wind unabhängig voranzukommen.

Viel Technik, die die britische Marine einsetzt, um den Naturgewalten zu trotzen, trotzdem wurden sie vom Ewigen Eis eingeschlossen und es gab kein Weiterkommen mehr. Vieles konnte mittlerweile geklärt werden, daraus macht Dan Simmons den Roman und füllt die Lücken mit seinen eigenen Geschichten. Zwei Jahre im Eis eingeschlossen zu sein liese sich mit genügend Vorräten überstehen, aber es wurde immer klarer, daß es kein Entkommen mehr gab, viel schneller als geplant schmolzen die umfangreichen Lebensmittelvorräte dahin, auch weil manches schief ging, falsch entschieden wurde. So stellten sich viele der technisch neu entwickelten Konservendosen als mangelhaft heraus, der Inhalt war entweder ungenießbar oder sogar vergiftet. Als sich zeigt, daß es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die gepanzerten Schiffe von der Gewalt des Eises zerbrechen würden, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, gegen Hunger und Kälte. Sie nehmen den unglaublich mühseligen Marsch auf sich, an Land und in mildere Regionen zu gelangen. Dabei werden Boote mitgezogen, vollgepackt mit Lebensmitteln, Gerät und auch vielem, was sich später als unwichtig erweist.

Sehr detailliert wird geschildert, wie sich der Rest der ursprünglich 129 Mann Besatzung über das Eis quält, Stunde um Stunde, Meter für Meter. Daß Erfrierungen an der Tagesordnung sind, Gliedmaßen, Zehen und Finger immer wieder verloren werden, ist das geringste. Bleibt man unvorsichtig und berührt aus Versehen mit der bloßen Haut eine Metallfläche, so friert sie daran fest und man verliert einige Hautfetzten. Die Kälte und vor allem der Hunger zermürben die Mannschaft. Es ist erstaunlich, daß selbst unter lebensbedrohlichen Umständen Disziplin und die Strukturen weiter halten, aber dazu später mehr. Der Mangel an frischen Lebensmitteln wirkt sich auch deshalb zunehmend verheerend aus, weil Skorbut zu einem ernsthaften Problem wird und später viele dahinraffen wird. Sehr ausfühlich und detailreich werden die Auswirkungen dieser Krankheit geschildert, wie der Körper aus allen Poren zu bluten beginnt, der Körper immer mehr verfällt.

Das ganze Buch ist die Schilderung des Überlebenskampfes und des Scheiterns. Keiner wird überleben. Selbst unter den ums Überleben kämpfenden gibt es Aufruhr, die Meinungen um die beste Taktik spaltet die Gruppe, der Hunger treibt einige gnadenlos zu Mord, zu Kannibalismus und in den Wahn.

In der Schilderung wechselt Simmons immer wieder die Perspektive, mal aus der Sicht von Sir John, dann aus der von Kapität Croziers, die Sicht der einfachen Besatzungsmitglieder bilden manchmal die Überschrift ebenso wie immer wieder Tagebucheinträge des Schiffsarztes oder anderer Offiziere. Jede Meile, die sich sich erkämpfen und der zunehmende Schrecken, die ständigen Verluste, all das wird ausführlich erzählt. Die strenge Disziplin an Bord in der Royal Navy, der Glaube an die Technik ebenso wie der Glaube an Gott und den Sieg über der Natur überraschen, da in dieser Gewißheit auch viele Fehler und Fehleinschätzungen begangen werden. Mann für Mann, einer nach dem anderen stirbt.

Diesem blinden Glauben wird zunächst ein Inuit-Mädchen entgegen gesetzt und später die ganze Inuit-Kultur. Anfangs sind sie die Wilden, später diejenigen, die als einzige mit dem Eis und der Natur umzugehen wissen. Alle Technik hilft nichts, das junge Mädchen aber weiß zu überleben, hat die nötige Erfahrung, die richtige Kleidung und das Wissen um die Natur. Statt sich mit der Lebensweise der Inuit vertraut zu machen, verpassen sie in ihrer Überheblichkeit zu lernen wie man jagt, wie man sich warm hält, wie man mit dem Eis umgeht, daß einzig Anpassung an die Natur, nicht Überwindung der Schlüssel zum Überleben ist.

Auch daß Simmons zunehmend Mythen mit einflechtet, eine Bestie aus dem Eis immer wieder auftreten läßt, fand ich nur am Anfang etwas merkwürdig, im letzten Drittel dann aber sehr passend als Gegenentwurf zur technisierten, zivilisierten Welt, die eben hier grandios gescheitert ist.

Nur einer wird dem grausamen Untergang entkommen, aber nur, weil er sein altes Selbst hinter sich läßt, sich komplett wandelt. Nach den beiden Schiffen der Franklin-Expedition werden (leider) noch viele andere kommen:

"Aufgrund ihrer Zukunftsgedanken wussten die silam inua, dasss das Ende der zeiten heranbrechen wird, wenn die blassen menschen, die kabloona, einst das Reich des Tuunbaq betreten. Vergiftet von den bleichen Seelen der kabloona, wird der Tuunbaq erkranken und sterben. ...Wenn der Tuunbaq an der kabloona-Krankheit stirbt, das wussten die Geisherrscher des Himmels, dann wird sich sein kaltes, weißes Reich erwärmen und auftauen. Die Eisbären werden ihre Heimat verlieren und ihre Jungen zugrunde gehen. Die Wale und Walrosse werden keine Nahrung mehr finden. Die Vögel werden in Kreisen fliegen und zum Raben schreien, weil ihre Brutplätze verschwunden sind."

Ein dickes Buch, das nicht nur spannend ist, sondern sich zunehmend steigert (mit einem etwas langen Mittelteil) und auf den letzten 100 Seiten nochmal in einem ganz neuen Licht erscheint. Mir hats gefallen...
Übrigens lese ich gerade, daß nun die berühmte Nordwest-Passage zwischen Atlantik und Pazifik vollkommen von Eis befreit und befahrbar ist. Ja, das Klima wird immer wärmer...

© Ralf 2008