Olga Tokarczuk: Der Gesang der Fledermäuse

Schöffling & Co 2011, 346 S.

Aus dem Polnischen von Doreen Daume

Fledermäuse im Titel, das Cover ein einsamer, düsterer Wald und im Buch verstreut holzschnittartige Illustrationen von Natureindrücken. Dies paßt zum Ort der Handlung des neuen Buches von Olga Takarczuk, nämlich der Glatzer Kessel, ein von Gebirgen umgebenes Gebiet in Niederschlesien und dort im südlichsten Zipfel, zwar noch Polen, doch direkt an der Grenze Tschechiens. In der Natur, weit weg von größerer Zivilisation, wohnt Janina Duszejko, die Ich-Erzählerin, in einer kleinen Siedlung einer Hochebene, die im harten Winter von den meisten der Bewohner verlassen ist. Im Grunde bleiben zu dieser Zeit nur drei Menschen zurück; Janina ist diejenige, die die verlassenen Anwesen im Blick behält, sich darum kümmert. Kontakt hat sie zu den anderen beiden kaum, sie meidet sie, nur manchmal noch fährt sie in den nächsten Ort, früher arbeitete sie dort als Lehrerin. Sie ist gerne für sich, in der Abgeschiedenheit, die für sie gar nicht so einsam ist, denn sie hatte ihre zwei Mädchen, ihre Hunde, daneben liebt sie die Natur und vor allem die Tiere. Doch den ganzen Roman durchzieht eine Düsternis, die sich in der Gegend und der Natur spiegelt: »In den Tälern hinter dem Hochplateau lag dichte Finsternis...«

Eines Tages ist einer der Nachbarn tot, er liegt in seiner Hütte, scheinbar während des Essens an einem Rehknochen erstickt. »An jenem Unglücksabend hatte er sich ein gewildertes Reh zubereitet. Ehrlich gesagt habe ich nie diese Unterscheidung zwischen "Wildern" und "Jagen" begriffen. Das eine wie das andere ist Töten...«

Einige Zeit später findet man auch den Kommissar tot in einem Brunnen und noch weitere Todesfälle, einer merkwürdiger als der andere, es scheint eine Mordserie zu sein. Janina schreibt auch immer wieder Briefe an die Polizei, in denen sie darauf hinweist, daß die Tiere des Waldes für die Morde verantwortlich sind. Sie ist nicht nur eine Tierschützerin, sondern der Mensch wird zum Ungeheuer »Doch es sind Massen von Schlachtfleisch, die jeden Tag die Stadt überfluten wie ein nicht endender apokalyptischer Regen. Dieser Regen kündet von Massakern, Krankheiten, kollektivem Wahnsinn, Trübung und Verseuchung des Verstandes. Denn kein Menschenherz ist imstande, so viel Schmerz zu ertragen« Auch im Dorf erzählt sie, daß die Tiere sich durch die Morde dafür rächen, daß man Jagd auf sie macht.

Ein weiteres Thema, das das Buch durchzieht, ist Janinas Hang oder gar Liebe zur Astrologie. Von den Toten hat sie immer auch ein Horoskop angefertigt. »Es ist naheliegend, dass jeder Mensch das erste Horoskop sich selbst stellt, und so war es auch bei mir.... Was blieb, war eine charakteristische Streuung von Punkten, die Symbolisierung der Planeten am Himmelsgewölbe. Nichts altert, nichts verändert sich, sie Orte am Firmament sind einzigartig und fix. Die Geburtsstunde hatte den Raum des Kreises in Häuser geteilt, und so war die Kurve praktisch ebenso einzigartig wie die Papillarlinien...«

So ganz allein ist diese schullige alte Dame jedoch nicht. Da gibt es noch ihren ehemaligen Schüler Dyzio, dessen große Leidenschaft es ist, Werke von William Blake zu übersetzen, oder eine Freundin aus einem Laden. Doch überwiegend bleibt sie am liebsten in der Natur, sie ist eine schrullige, einsame Frau, die die Menschen mit zunehmendem Alter nicht mehr versteht und sich zunemend von ihnen fern hält. Es sind die Tiere, nicht die Menschen, für die sie sich mit ganzer Kraft einsetzt.

Olga Tokarczuk schafft es, eine passende Stimmung mit zugehörigen Bildern aus der Natur zu schaffen, angereichert durch Janinas astrologische Überlegungen und jedes Kapitel begleitet durch ein paar Verse des Naturmystikers Blake. Das Buch findet sich teilweise in der Abteilung "Krimi", doch das ist es für mich nicht, trotz der Morde.

Es ist ein Buch über eine ältere, etwas schrullige Frau, die etwas überzogen in ihren Ansichten ist, für die die Tiere im Zentrum stehen, man ist geneigt zu sagen, sie sind ihr wichtiger als der Mensch. Damit begibt sie sich auch ein Stück in Richtung Einsamkeit, etwas aus der Welt in die Natur gefallen, alles dargestellt mit mythischen und phantastischen Elementen um den mangelnden Respekt der Menschen gegenüber der Natur. Damit ist aber nicht wirklich eine Botschaft verknüpft, es bleibt eine etwas düstere Erinnerung an Wald, Natur und hinterläßt eine merkwürdige Stimmung. Aus dem Abstand gewinnt das Buch sogar und ich kann es empfehlen, trotzdem läßt es mich etwas ambivalent zurück.


© Ralf 2011